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Der Prophet

Titel: Der Prophet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Khalil Gibran
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werden verurteilt und gescholten.
    Ich will sie nicht verurteilen oder schelten. Mögen sie nur suchen!
    Denn sie werden den Genuss finden, aber nicht ihn allein:
    |72| Sieben Schwestern hat der Genuss, und noch die Geringste unter ihnen ist schöner als er.
    Wisst ihr nicht von dem Mann, der den Boden nach Wurzeln umgrub und einen Goldschatz entdeckte?
     
    Und manche eurer Alten erinnern sich an Genüsse mit Bedauern, wie an im Rausch begangenes Unrecht.
    Bedauern aber ist die Umwölkung des Gemüts, nicht dessen Läuterung.
    Mit Dankbarkeit sollten sie sich an den Genuss erinnern, wie sie an die Ernte eines Sommers zurückdenken würden.
    Doch wenn ihr Bedauern sie tröstet, sei ihnen der Trost gegönnt.
     
    Und es gibt jene unter euch, die weder jung genug sind, um zu suchen, noch alt genug, um sich zu erinnern.
    Und in ihrer Angst vor der Suche und der Erinnerung meiden sie jeden Genuss, um nicht den Geist zu vernachlässigen oder sich
     an ihm zu versündigen.
    Aber gerade in ihrem Verzicht liegt ihr Genuss.
    Und so finden auch sie einen Schatz, obwohl sie mit zitternden Händen nach Wurzeln suchen.
    Aber sagt mir, wer könnte schon den Geist beleidigen?
    Wird denn die Nachtigall die Stille der Nacht beleidigen oder das Johanniswürmchen die Sterne?
    |73| Und werden eure Flamme oder euer Rauch den Wind behelligen?
    Meint ihr etwa, der Geist sei ein stiller Tümpel, den ihr mit einem Stock aufwühlen könntet?
     
    Indem ihr euch einen Genuss versagt, speichert ihr häufig nur das Verlangen nach ihm in den verborgenen Kammern eures Wesens.
    Wer weiß, ob was heute unterbleibt, nicht das Morgen abwartet?
    Selbst euer Körper weiß um sein Erbteil und seinen rechtmäßigen Anspruch und lässt sich nicht täuschen.
    Und euer Körper ist die Harfe eurer Seele,
    Und es bleibt euch überlassen, ihm liebliche Musik zu entlocken oder verworrene Klänge.
     
    Und nun fragt ihr euch in eurem Herzen: »Wie sollen wir das Gute am Genuss von dem unterscheiden, was nicht gut an ihm ist?«
    Geht auf eure Felder und in eure Gärten, und ihr werdet erkennen, dass die Biene es genießt, von der Blume Honig zu sammeln,
    Doch dass die Blume es ebenso genießt, der Biene ihren Honig zu überlassen.
    Denn für die Biene ist die Blume eine Quelle des Lebens,
    Und für die Blume ist die Biene eine Botin der Liebe,
    |74| Und für beide, Biene und Blume, sind Geben und Empfangen ein Bedürfnis und eine Wonne.
     
    Menschen von Orfalîs, seid in euren Genüssen wie die Blume und die Biene.

|75|
Von der Schönheit
    Und ein Dichter sagte: Sprich zu uns von der Schönheit.
    Und er antwortete:
    Wo sollt ihr die Schönheit suchen, und wie sollt ihr sie jemals finden, wenn sie nicht selbst euer Weg und eure Führerin ist?
    Und wie sollt ihr von ihr reden, wenn sie nicht selbst die Weberin eurer Rede ist?
     
    Die Gekränkten und Verletzten sagen: »Die Schönheit ist gütig und sanft.
    Wie eine junge Mutter, die sich halb ihrer Herrlichkeit schämt, wandelt sie unter uns.«
    Und die Leidenschaftlichen sagen: »Nein, die Schönheit ist etwas Gewaltiges und Ehrfurchtgebietendes.
    Wie der Sturm erschüttert sie die Erde unter unseren Füßen und den Himmel über uns.«
     
    Die Müden und Erschöpften sagen: »Die Schönheit ist ein zartes Gewisper. Sie spricht in unserem Geist.
    |76| Ihre Stimme fügt sich unserem Schweigen wie eine schwache Flamme, die aus Furcht vor dem Schatten erzittert.«
    Doch die Rastlosen sagen: »Wir haben sie schreien hören inmitten der Berge,
    Und mit ihrer Donnerstimme kam das Getrommel von Hufen und das Schlagen von Schwingen und Löwengebrüll.«
     
    Nachts sagen die Wächter der Stadt: »Die Schönheit wird mit dem Morgen im Osten heraufziehen.«
    Und zur Mittagszeit sagen die Arbeitenden und die Wanderer: »Wir haben sie gesehen, wie sie sich aus den Fenstern des Abends
     über die Erde hinabbeugte.«
     
    Im Winter sagen die Eingeschneiten: »Sie wird mit dem Frühling über die Hügel gesprungen kommen.«
    Und im Sommer sagen die Schnitter: »Wir haben sie tanzen sehen mit dem Herbstlaub, und wir sahen einen Schleier von Schnee
     in ihrem Haar.«
    Alle diese Dinge habt ihr von der Schönheit gesagt,
    Doch in Wahrheit spracht ihr nicht von ihr, sondern von unerfüllten Bedürfnissen,
    Und die Schönheit ist kein Bedürfnis, sondern eine Ekstase.
    Sie ist kein dürstender Mund, und sie ist keine bettelnde Hand,
    |77| Sondern ein loderndes Herz und eine verzauberte Seele.
    Sie ist nicht das Bild, das ihr

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