Der Protektor von Calderon
Gespräch gegen ungebetene Zuhörer abschirmte. Sein Pferd tänzelte nervös, denn es nahm die Wut wahr, die in seiner Stimme mitschwang. »Für den Vorschlag sollten wir diesem Hurensohn seinen eigenen Kopf abhauen!«
»Unglücklicherweise ist es kein Vorschlag«, murmelte Crassus. Max’ schlanker Bruder ritt auf Tavis anderer Seite und blieb deutlich ruhiger. »Es ist ein Befehl.«
Max legte die Hand auf den Schwertgriff. »Ich habe hier genau die richtige Antwort auf so einen Befehl.«
Crassus warf seinem Bruder einen resignierten Blick zu. »Das hilft uns auch nicht weiter.«
»Crassus hat recht, Max«, sagte Tavi leise. »Dieses Problem können wir nicht in Stücke hacken.«
»Du brauchst mir nur zuzuschauen«, knurrte Max. Sein Pferd
bäumte sich halb auf und schlug mit einem Huf aus, als wollte es nach einem unsichtbaren Feind treten. Acteon schnaubte über diese Mätzchen, und Tavi war dankbar, weil sein Pferd nicht wie die meisten Schlachtrosse zu diesen Heldenmutbezeugungen aus heiterem Himmel neigte. Max beruhigte sein Pferd mit der Beiläufigkeit eines guten Reiters. »Ich werde nicht zulassen, dass diese armen Stadtbewohner umgebracht werden.«
Tavi blickte über die Schulter, wo die Gefangenen von Valiar Marcus’ Kohorte Prima aus der Stadt geführt wurden, wie es der Befehl verlangte. Tavi hatte absichtlich einen langsamen Schritt angeordnet, doch selbst der war für manche der älteren Gefangenen zu schnell. Er machte Marcus auf sich aufmerksam und gab dem Ersten Speer ein Zeichen. Marcus ließ sie daraufhin noch langsamer gehen.
Hervorragend, dachte Tavi. Das gab ihm ein wenig mehr Zeit zu überlegen, wie er sich aus dieser Zwangslage befreien konnte.
»Wir werden das nicht wirklich tun«, knurrte Max. »Richtig?«
Tavi schüttelte den Kopf, allerdings eher aus Ärger. »Bei den Kindern ist es wenigstens eindeutig.«
Crassus runzelte nachdenklich die Stirn und sah dann Tavi an. »Strafunmündigkeit?«
»Genau«, sagte Tavi.
Hufschlag näherte sich. Araris trabte die Reihe von Pferden entlang und brachte Tavi ein dickes Buch.
»Was ist das?«, fragte Max.
Tavi nahm das Buch, das den schlichten Titel Militärgesetzbuch trug. Dann schlug er es auf und suchte nach dem richtigen Schlagwort.
Crassus lächelte. »Du hast dich vorbereitet, was?«
»Ein Geschenk von Cyril«, erwiderte Tavi.
»Strafun-was?«
»Strafunmündigkeit, du ungebildeter Trottel«, sagte Crassus. Er grinste Max an. »Dem Gesetze nach kann ein Kind unter zwölf Jahren, das im Hause eines Erwachsenen wohnt, für die meisten
Verbrechen nicht belangt werden. Die Eltern oder der Vormund sind stattdessen für ihr Verhalten verantwortlich.«
»Demnach sind die Kinder aus dem Spiel«, meinte Max.
»Das genügt nicht«, widersprach Max. »Es heißt nur, dass wir die Eltern doppelt hinrichten müssen.« Er hielt das Buch in die Höhe. »Arnos muss sich an das Gesetz halten. Als Legionskommandant in einem Kriegsgebiet darf er im Schnellverfahren über feindliche Soldaten und deren Helfer urteilen.«
»Ohne ordentliches Gerichtsverfahren?«, wollte Max wissen.
»Jedenfalls, solange es keine Cives sind«, sagte Tavi. »Und Arnos dehnt den Begriff ›Helfer‹ auf alle Aleraner aus, welche die Canim in irgendeiner Weise unterstützt haben. Seiner Meinung nach sind sie Verräter, weil sie die Canim in die Stadt eingelassen haben.«
»Weil sie nicht gegen Nasaugs Armee gekämpft haben? Die hatten doch keine andere Wahl«, schnaubte Max. »Sieh sie dir an.«
Crassus schüttelte den Kopf. »Dem Gesetz nach hatten sie eine Wahl. Sie hätten gegen die Canim kämpfen und dabei sterben können.«
»Das wäre Selbstmord gewesen.«
»Aber gesetzestreu.« Crassus sah Tavi stirnrunzelnd an. »Hauptmann, glaubst du, das Urteil des Senators würde von einem Berufungsgericht bestätigt?«
»Er ordnet nicht die Hinrichtung von Cives an«, sagte Tavi und überflog die Seiten des Buches. Schließlich fand er die entsprechende Stelle, die seine Befürchtungen bestätigte. »Bei den Krähen. Offensichtlich bewegt er sich noch im Rahmen des Gesetzes. Am Ende muss also die Politik entscheiden.«
Max knurrte. »Wenn er Erfolg gegen die Canim hat, wird man sein Urteil einfach unter den Teppich kehren.«
»Und wenn nicht«, sagte Crassus, »werden seine Feinde es benutzen, um ihn aus dem Amt zu vertreiben.«
Tavi knirschte mit den Zähnen. »Was allerdings den Bewohnern von Othos auch nicht mehr helfen wird.«
»Wir müssen doch irgendetwas
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