Der Puls von Jandur
Schnittwunden übersät, teilweise so tief, dass immer noch Blut hervorsickerte. Dylora hatte ganze Arbeit geleistet.
»Warum sind deine Wunden nicht geheilt worden?«, fragte Matteo an Nador gerichtet. Über seine alte, neue oder geteilte Persönlichkeit wollte er lieber nicht reden. Oder noch nicht. Tief drinnen fühlte er, dass er ihr nicht entfliehen konnte.
»Dazu war noch keine Zeit. Wir mussten uns mehr Sorgen um dich machen.« Nador fasste ihn an den Schultern. »Geht es dir auch wirklich gut?«
Matteo blickte an sich herab. Sie hatten das Blut weggewaschen. Die Narbe von Khors Stichwunde war verschwunden. Auch von den Schnittwunden am Soplex war nichts mehr zu sehen, die Haut war makellos und nichts tat ihm weh.
Er betastete das grüngenarbte Gewebe. Und erstmals betrachtete er es mit anderen Augen. Der Soplex mochte hässlich sein, aber er machte ihn stark. Er war sein Energiezentrum, hieraus entwickelte sich der Puls.
Sein Puls.
Er hatte ihn gezielt eingesetzt, vorhin im Kampf, hatte seine Kraft gespürt und das berauschende Gefühl, ihn beherrschen zu können. Dass die Kaiserin ihn als schwächlichen Abklatsch von Khor bezeichnet hatte, berührte ihn kaum. Sie wusste nichts von ihm, gar nichts, aber er wusste, dass sie sich irrte. Sein Wille würde ihm nicht im Weg stehen – im Gegenteil, er würde ihn antreiben.
Ja, es hatte Vorteile, einen Puls zu haben. Auch wenn er Dylora letztlich unterlegen gewesen war, bei ihrem nächsten Zusammentreffen würde er sie vernichten. Falls das überhaupt noch nötig war …
»Schau, schau, dein Arm!«, rief Lith, sprühend vor Energie. »Er ist wieder heil.«
Matteo lachte – ihre neu gewonnene Lebensfreude war ansteckend. Kam das vom Quell?
Er wandte sich Nador zu. »Es geht mir gut. Ich bin okay.« Dann stellte er die eine Frage, die ihm schon die längste Zeit auf der Zunge brannte: »Wo ist Dylora? Ist sie tot?«
»Nein, geflohen. Als meine Männer den Zeremoniensaal stürmten, hat sie den Tumult genutzt und das Weite gesucht. Reylan hat ihr den Weg freigekämpft.«
Lith bleckte die Zähne. »Pech für ihn, dass er am Ende geschnappt wurde, während sie entkam.«
Also würden sie einander wiedersehen. Früher oder später . Gut so , Matteo ballte die Fäuste, ich werde bereit sein .
Er blickte sich um. »Wo sind wir überhaupt?«
Sie hockten in einem Saal, alles war aus weißem Marmor, der Boden, die Wände, das riesige Becken in der Mitte, selbst die Bänke ringsherum. Die Blutspur, die sich von der Tür bis zu ihnen zog, wirkte entsetzlich grell. Sie entweihte den Ort geradezu.
Mein Blut.
»Dies ist die Quellhalle«, erklärte Nador und deutete auf das Becken. »Hier entspringt der Quell. Veloy und Lith hatten dich bereits im Audienzraum geheilt, aber deine Wunden waren so schwerwiegend, dass du ein zweites Mal behandelt werden musstest.«
Was seine erste Heilung betraf, hingen nur verschwommene Fragmente in Matteos Erinnerung fest: Liths Fascia. Veloy, der Quell über seinen Soplex goss. Die Katzenaugen der Nymure. Oder Nadors Soldaten, die einen schützenden Ring um sie gebildet hatten. Das Klirren ihrer Schwerter.
Sein erlöschender Puls …
Nador war wirklich im rechten Moment in Eznar aufgekreuzt.
»Woher wusstest du überhaupt, was hier geschah?«, fragte Matteo ihn kopfschüttelnd.
»Heyden hat uns alarmiert.«
» Heyden? « Matteo guckte verdutzt von Nador zu Lith. »Reylans Heyden?
»Ja, stell dir vor«, sagte Lith, »als Heyden mich abführte, fing er auf einmal an vom Lord zu reden und dass er die Männer holen müsse, ich kapierte erst gar nicht, was er meinte.«
»Heyden war ein Spion?«, folgerte Matteo.
Nador nickte. »Ja. Mein Informant. Ich hatte ihn vor vielen Jahren bei den kaiserlichen Truppen eingeschleust. Wir hatten kaum Kontakt in all der Zeit und manchmal war ich im Zweifel, ob er mir noch treu ergeben war. Bis er uns eines Tages von einem geplanten Angriff berichtete. Er tauchte mitten in der Nacht in meinem Zelt auf, hatte alles riskiert, um mich zu warnen. Reylan wolle Khor entführen, sagte er. Am nächsten Morgen kamen sie, es war jener Tag, an dem … Khor starb.«
Er hatte es noch nicht verwunden, das sah man ihm an. Wie auch, es war kaum drei Wochen her. Matteo nahm seine Hand. Nador lächelte dankbar.
»Und dann«, sagte er, »passierte uns das Gleiche noch einmal. Im Lager bei Othyram. Diesmal waren wir nicht gewarnt und Reylan war gekommen, um dich zu holen. Keine Ahnung, woher er davon
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