Der Puls von Jandur
Brustkorb auf. Er schrie.
Von irgendwoher rannte Lith herbei. »Ich habe ihn gefunden. Los, los, Veloy, weiter zur Quellhalle. Lev-Chi erwartet uns dort.«
Im Saal zuckten Dyloras Hände wie wild durch die Luft, zu schnell für Matteos Auge. Nadors Schreie schnitten tief in sein Innerstes, so als würde er Dyloras Magie am eigenen Leib spüren.
»Vater!«, hörte er sich rufen, dann packte Lith mit an und zerrte ihn gemeinsam mit Veloy über den Flur.
Soldaten kamen angelaufen, unzählige, aber ob ihre Uniformen nun beige oder grau waren, konnte Matteo nicht mehr sagen.
Vor seinen Augen tanzte ein einziges Bild: sein Vater, der unter Dyloras magischen Klingen zu Boden sank.
»Er ist wach.«
War das so? Versuchsweise öffnete Matteo die Augen und blickte direkt in Liths strahlendes Gesicht.
»Hey«, sagte sie leise. »Wie fühlst du dich?«
»Weiß nicht … Wie sollte ich mich fühlen?«
»Na gesund. Oder hast du Schmerzen?«
Matteo horchte in sich hinein. »Nein.«
»Siehst du.«
»Der Quell hat dich geheilt«, sagte eine warme Stimme über seinem Kopf. Er hätte sie unter Hunderten wiedererkannt. Hatte sie noch in den Ohren – schreiend unter der Folter der Kaiserin, doch jetzt weitaus entspannter.
Aufmunternd lächelte Nador ihm zu.
»Du lebst!«, entfuhr es Matteo. Er wollte sich aufsetzen, doch eine Schwindelattacke zwang ihn zurück in die Arme, die ihn hielten. Nadors Arme. »Ich dachte schon, Dylora bringt dich …« Er ist der Lord , ermahnte er sich, noch dumpf in Erinnerung, dass er ihn vorhin in seiner Angst Vater genannt hatte. »Äh, Sie … ich meine, Euch … Ich dachte, sie bringt Euch um.«
Der Lord grinste. Es war ein glückliches, spitzbübisches Jungengrinsen. Matteo mochte es.
»Du darfst mich anreden, wie du willst, Matteo«, sagte Nador. »Solange du mit mir sprichst und nicht vor mir davonläufst.« Er nahm einen tiefen Atemzug. »Ja, ich dachte auch, dass dies mein Ende wäre. Zum Glück konnten mich meine Männer aus dieser misslichen Lage befreien. Aber zurück zu dir. Lev-Chi hat mir ein stärkendes Elixier für dich dagelassen.« Er setzte einen Becher an Matteos Lippen. »Trink! Damit wirst du dich schnell erholen.«
Gehorsam trank Matteo, was Nador ihm einflößte. Die Wirkung fuhr mit einem Kribbeln der Entspannung in seine Glieder. Wohlig seufzend sank er zurück. Im Moment wollte er nirgendwo sonst sein als in Nadors Armen. Es fühlte sich gut an. Echt. Als wäre er tatsächlich sein Vater, was in gewisser Weise sogar zutraf.
Er schloss die Augen und genoss es, sich sachte wiegen zu lassen. Noch war er nicht stark genug, sich der Wirklichkeit zu stellen.
Jemand streichelte seine Hand und nun blinzelte er doch wieder, weil er wissen wollte, wer das war. Er hoffte …
Ja, Lith.
»Deine Hände …«, sagte Matteo erstaunt. Die schwarzblauen Erfrierungen waren geheilt. Fort, als hätte es sie nie gegeben. »Wie kommt das? Die sehen ja völlig normal aus. Dylora hat doch …« Er konnte es einfach nicht aussprechen. Liths Qualen waren ihm fast näher als alles, was er selbst durchlitten hatte.
»Der Quell, verstehst du?« Lith wetzte auf den Knien hin und her. Sie war komplett überdreht, so hatte er sie noch nie erlebt. »Als ich dich hielt«, sie drückte seine Hand, »da hat er uns beide geheilt. Wir sind wie neu, keine Schrammen und Schnitte, sogar dein Arm ist wieder in Ordnung. Bloß meine Haare sind nicht nachgewachsen. Aber einen Versuch war es wert.«
In seiner Vorstellung versenkte Lith ihren Schädel in einem Eimer voll Quell. Er unterdrückte das Grinsen. »Tut mir leid für dich.«
»Hörst du wohl auf! Ich muss dir doch nicht leid tun.« Liths Miene verdüsterte sich. Sie schlug die Augen nieder. »Nach allem, was ich dir angetan habe.«
»Weißt du, irgendwie ist es gar nicht mehr so schlimm. Jetzt.«
»Tja«, sie schluckte, »schätze, das kommt wieder. Wenn du erst genauer darüber nachdenkst. Und dann … sollte ich mich besser von dir fernhalten, bevor wir erneut aneinandergeraten.«
Er schüttelte den Kopf über so viel Unsinn. »Das werden wir nicht. Ich bin nicht mehr derselbe. Den alten Matteo gibt es nicht mehr.«
»Natürlich gibt es ihn«, mischte sich Lord Nador ein. »Du bist Matteo, niemand sonst.«
Matteo richtete sich auf. Der Schwindel war gewichen, es ging ihm schon besser. Lev-Chi sei Dank.
Aber Nador sah furchtbar aus – ihm hätte man den Quell am besten intravenös verabreicht. Seine Kleidung war zerfetzt, er war von
Weitere Kostenlose Bücher