Der Puls von Jandur
ihm Wein eingießen. Als Matteo um Wasser bat, warf sie einen fragenden Blick auf Lord Nador. Er senkte zustimmend die Lider, worauf das Mädchen hinauseilte und kurz darauf mit einer Wasserkaraffe wiederkehrte.
Frisches, klares Wasser perlte in Matteos Glas. Mit einem Zug stürzte er es hinunter und es beseitigte endlich den schalen Nachgeschmack der Übelkeit. Kaum war es leer, wurde es auch schon nachgefüllt. Dann zogen sich die Mädchen an die Tür zurück.
Das Essen verlief schweigend. Das Fleisch war wunderbar zart gebraten, das Gemüse auf den Punkt gekocht, und obwohl Matteo gedacht hatte, diese Portion niemals bewältigen zu können, verputzte er alles bis auf den letzten Krümel.
Satt lehnte er sich in seinem Stuhl zurück und erlaubte seinem Gehirn, seine Lage zu überdenken. Wie konnte er nach Hause gelangen? Er brauchte diese Weltenspirale. Nur, wo war sie? Bei Lith? Oder bei Nador?
Der Lord hatte sein Mahl beendet, nippte an seinem Wein und bedachte Matteo mit prüfenden Blicken. Auf seinen Wink hin räumten die Bediensteten den Tisch ab und ließen sie allein.
Matteo brach die Stille zuerst. »Warum bin ich hier?«
»Fühlst du dich gut?«, kam die Gegenfrage. »Lev-Chi versicherte mir, dass alles in Ordnung mit dir sei.«
»Lev-Chi? Der Arzt?«
Nador neigte den Kopf. »Das hört er nicht gern. Lieber ist ihm Meister .«
»Meister wovon?«
»Oh, von vielen Dingen. Heilkunde, Magie …«
»Magie?«
Der Lord schmunzelte. »Ich vergaß. In deiner Welt nimmt Magie einen anderen Stellenwert ein.«
»Eigentlich gar keinen Stellenwert. So etwas wie Magie gibt es nicht.«
»Ich denke doch. Es fehlt nur an geeigneten Personen, ihre Macht zu nutzen. Und an Glauben.«
Matteo stieß ein Schnauben aus. Dieses Gespräch führte zu nichts. »Warum bin ich hier?«, wiederholte er ungeduldig.
»Du bist der Erlöser«, sagte Lord Nador langsam. »Der Lichtpuls.«
Puls. Wieder dieses Wort. Offenbar hatte es nichts mit Blut zu tun.
»Ich bin der Erlöser? Wen soll ich erlösen?«
»Du wirst diesem Land den Frieden bringen. Nach sechs Jahren Krieg ist es an der Zeit, dass Jandur zur Ruhe kommt.«
Matteo musste beinahe lachen, so absurd klangen die Worte aus Nadors Mund. Er war doch kein Erlöser, er war einfach nur Matteo Danelli. »Blödsinn. Wer sagt denn so etwas?«
»Die Prophezeiungen der Unai-Choka, der Urgötter Jandurs.« Lord Nadors Miene war ernst. »Du wirst das Land von den dunklen Mächten der Kaiserin Dylora befreien. Sich dagegen zu sträuben ist zwecklos, es ist deine Bestimmung.«
»Ich pfeife auf meine Bestimmung. Und auf diese Prophezeiung. Schicken Sie mich zurück!«
»Nein.«
Matteo sprang auf und stieß dabei gegen den Stuhl, so dass er polternd umkippte. »Das können Sie nicht tun, das ist Kidnapping! Ich werde mich an die Polizei wenden.«
Der Lord hatte sich ebenfalls erhoben. »Hier gibt es keine Polizei, Matteo. Nur meine Truppen. Oder die der Kaiserin.«
Sein Tonfall war so ruhig, so gutmütig, dass er Matteos Zorn dämpfte. Ein Gefühl der Ohnmacht pulste durch seine Adern. Er war Nador ausgeliefert. Keuchend holte er Luft und unterdrückte die bescheuerten Tränen, die unwillkürlich in ihm aufstiegen.
»Sieh es so«, sagte der Lord sanft. »Du wärest nicht mehr am Leben, hätten wir dich in der Splitterwelt gelassen.«
»Das ist mir egal«, flüsterte Matteo. Er wusste nicht, was er sonst entgegnen sollte. Sein Kopf war wie leer gefegt. Nur die Worte Erlöser und Prophezeiung zogen darin umher.
»Nein, das ist es nicht. Der Tod ist niemandem egal. Höchstens dem Gebrochenen, der alles und sich selbst aufgegeben hat.« Lord Nador trat um den Tisch herum und stellte den Stuhl auf. »Setz dich wieder, Matteo.«
Matteo gehorchte. Oder sein Körper tat das. Er kontrollierte ihn nicht länger.
Der Lord lehnte sich an den Tisch. »Jandur braucht dich. Wir brauchen dich. Ich …« Die Stimme brach ihm weg, irritiert blickte Matteo hoch. Für einen Moment zog Schmerz über Nadors Gesicht, dann glättete sich seine gefurchte Stirn.
»Ich werde dir helfen, wo ich kann«, fuhr er fort. »Ich werde tun, was in meiner Macht steht, damit du deine Aufgabe erfüllen kannst. Du bist der Lichtpuls …«
»Was ist das? Ein Lichtpuls?« Die Frage brannte Matteo schon seit längerem auf der Zunge, war nur von Wut und Hilflosigkeit überspült worden. Jetzt war er froh sie wiedergefunden zu haben.
»Nun, ein Puls ist so etwas wie der Geist, der einer Person innewohnt, vereint
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