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Der Puls von Jandur

Der Puls von Jandur

Titel: Der Puls von Jandur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mara Lang
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ist alles gut, ich werde Euch nur untersuchen, Herr«, sagte er. »Seid bitte so freundlich und bleibt ruhig liegen.« Wachsam blickte er Matteo an. »Darf ich beginnen?«
    Matteo nickte wieder. Herr, Ihr, Khor – die Worte wanderten ziellos durch seinen Verstand und bohrten dort große schwarze Löcher. Richtige Krater.
    Steif lag er da. Der Asiate tastete ihn ab, bat ihn, Beine und Arme zu heben, fragte ihn, ob er sehen und hören könne, ob er Schmerzen habe und ob ihm noch übel sei. Matteo antwortete mit »Nein« oder »Ja« und starrte in seine ausdruckslose Miene. War der Kerl Arzt?
    Was viel wichtiger war: Er spürte die kühlen Hände des Asiaten, sah, wie seine Haut unter dem fachkundigen Fingerdruck nachgab. Da war kein Flimmern und Knistern unter der Berührung, nichts stieß durch ihn hindurch, seine Arme und Beine waren nicht länger aus diesem gläsernen Material.
    Matteos Herz pochte ganz wild in seiner Brust. Lith hatte nicht gelogen, er hatte seinen Körper zurück!
    Als die Untersuchung beendet war, durfte er aufstehen. Der Asiate reichte ihm einen langen Mantel aus fließender, blauer Seide und half ihm beim Ankleiden und Binden des Gürtels. Wortlos kniete er vor Matteo nieder und schob ihm ebenso blaue Seidenpantoffel an die Füße. Sie waren mit Silberfäden bestickt und passten so angegossen wie die berühmten gläsernen Schuhe Aschenputtels. Dann trat er beiseite und auf den zweiten Mann zu, der im Hintergrund gewartet hatte. Die beiden begannen ein leises Gespräch.
    Matteo lehnte am Steintisch und versuchte zu verstehen, worüber sie sprachen.
    Wortfetzen drangen zu ihm herüber: »Puls … Transfer … Körper kooperiert … braucht Ruhe …«
    Er konnte sich keinen Reim darauf machen und so gab er das Lauschen auf und sah sich um. Der Raum war quadratisch und es gab außer dem Tisch keine Möbel. Er hatte keine Fenster, in der Ecke gegenüber war eine Tür. An den Wänden hingen bunt gemusterte Teppiche. Orientalische Kelims – Andrea hatte ein Faible dafür, sie wäre bei ihrem Anblick sicher in verzückte Schreie ausgebrochen. Ringsum steckten zwei Meter hohe Fackeln in metallenen Köchern und warfen ihren flackernden Lichtschein über den grauen Steinboden. Helle und dunkle Platten ordneten sich zu einem Bild aneinander: eine Sonne, in deren Zentrum der Tisch stand.
    Verstohlen musterte Matteo den Fremden, der ihn Khor genannt hatte. Er war mittleren Alters, schlank und sehr groß, überragte den Asiaten um gut einen Kopf. Das dunkelbraune Haar hatte er im Nacken mit einer schwarzen Schleife zu einem Zopf gebunden, einzelne Strähnen fielen ihm wirr in die Stirn. Bekleidet war er mit einer schwarzen Hose und Stiefeln, einem weißen Hemd mit Rüschenkragen und einem tiefroten Umhang. An seiner Hüfte – Matteo musste zweimal hinsehen – blitzte der Knauf eines Schwertes. Damit sah er aus, als wäre er einem Mantel- und Degenfilm entsprungen. So etwas wie Die drei Musketiere .
    Die Unterhaltung brach ab. Der Asiate verabschiedete sich mit einer angedeuteten Verbeugung. Beinahe lautlos verschwand er durch die schwere Holztür.
    Sie waren allein.
    Langsam trat der Fremde an Matteo heran. »Wie ist dein Name?«
    Diese Stimme! Tief und gleichzeitig weich. Matteo wurde ganz flau zu Mute. Schnell presste er die Hand gegen den Magen. Doch nicht Übelkeit, sondern Wärme breitete sich in seinem Inneren aus.
    »Matteo«, sagte er leise, fast fragend. Hatte der Mann ihn nicht Khor genannt?
    Sein Gegenüber lächelte. »Matteo. Ich muss mich für vorhin entschuldigen. Du erinnerst mich an meinen Sohn.«
    »Khor?«
    »Ja. Khor.« Abwesend blickte der Mann beiseite. Er wirkte übermüdet, seine Augen waren umschattet, die Haut bleich. Als er wieder sprach, lächelte er Matteo an. »Verzeih. Ich bin Lord Nador, dies ist meine Festung, Shinjossa.«
    Matteo schwieg.
    »Du weißt, wo du bist?«
    »Jandur?«
    »Richtig. Das alles muss sehr verwirrend für dich sein. Deiner Welt entrissen, deiner Familie …«
    »Wo ist Lith?«, fragte Matteo.
    »Die Squirra? Nun, ich denke, sie ist zu Bett gegangen. Sie hat sich ein wenig Erholung verdient. Und du auch. Komm, wir werden etwas essen.« Er wandte sich zum Gehen.
    »Nein. Ich will nach Hause.«
    Lord Nador hielt inne und holte hörbar Luft. »Das geht leider nicht«, sagte er nach einem Augenblick des Schweigens.
    »Warum nicht?« Die Enttäuschung ließ Matteos Stimme zittern. »Lith hat mich hergebracht, sie soll mich auf demselben Weg wieder

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