Der Puls von Jandur
Feuerstoß in die Luft.
Dem zweiten Barca wurde der Tumult zu viel, es keilte aus. Matteo stolperte zurück, war in der Bewegung zu langsam und der Huf traf ihn am Oberschenkel. Er sackte in die Knie. Glühende Hitze fauchte über seinen Kopf hinweg, als das Barca ihn angriff, fast wäre er von den Flammen skalpiert worden. Er wollte aufstehen, doch sein Bein gab einfach wieder unter ihm nach, als wäre es aus Gummi.
Mit einem Mal waren da die Zügel vor seiner Nase. Instinktiv holte er mit dem Messer aus und kappte die ledernen Riemen. Das Barca entwischte mit ein paar Bocksprüngen in die Freiheit.
Das Menschenbündel vor Matteo erstarrte. Lith hockte auf dem Bauch des Zwerges, das Knie an seiner Kehle. Hochrot im Gesicht. Keuchend, aber triumphierend. Ihr Gegner röchelte.
»Verdammter Winzling«, knurrte sie. »Mich verkaufen? Dir werd ich’s zeigen!«
Matteo lachte und langte nach dem Schwert …
Da trat ihm jemand auf die Hand. Ein brauner Stiefelabsatz, der seine Gelenke zu zermalmen schien. Er heulte auf.
Zwei Männer packten ihn an den Oberarmen und zerrten ihn hoch. Zwei weitere schnappten sich Lith. Alle trugen sie weiße Kutten mit Kapuzen, die ihnen tief ins Gesicht fielen. Ein fünfter Mann stand wie unbeteiligt daneben und rührte sich nicht. Die Quellbrüder.
Lith strampelte, kickte nach allen Seiten und schrie wie am Spieß. Es nutzte nichts, die Männer waren ihr überlegen. Sie schleppten sie mit sich mit, weg vom Wagen, auf das braune Tor zu, das jetzt offen stand.
»Lith!«, schrie Matteo und stemmte sich gegen die Hände, die ihn hielten. Er war zu schwach. Viel zu schwach. »Lith!«
»Matteo!«
Der Zwerg kam bemerkenswert schnell auf die Beine.
»He!«, rief er. »Mein Lohn! Ich bringe Euch eine Squirra, ich will meinen Lohn!«
Der einsame Bruder nickte wortlos, holte einen Lederbeutel aus seinem Ärmel hervor und warf ihn dem Zwerg zu. Geschickt fing dieser ihn auf und wog ihn in seiner Hand. Münzen klimperten.
»Verbindlichsten Dank, die Herren.« Der Zwerg verbeugte sich tief.
Lith schrie in einem fort.
Noch einmal kämpfte Matteo gegen seine Peiniger an. Er versetzte einem der Männer einen Tritt gegen das Schienbein. Die Antwort war ein Schlag in den Nacken. So fest, dass vor seinen Augen Lichtfunken explodierten.
Sie ließen ihn einfach fallen.
Schritte entfernten sich. Liths Schreie verhallten. Das Tor schloss sich krachend.
In Matteos Kopf pochte die Stille.
Vierzehn
»Junge!«
Matteo blickte sich um. Er war allein. So allein wie nie zuvor.
Er war zum Tor des Tempels gelaufen, hatte mit den Fäusten dagegengetrommelt und gebrüllt. Blödsinnige Sachen, wie etwa »Lasst mich rein, ich bin der Sohn des Lords!« oder »Aufmachen, ich bin der Lichtpuls!«. Keine Reaktion.
Da war er losgelaufen, immer an der Wand entlang, und hatte dabei das ganze Gebäude umrundet. Er hatte nach versteckten Eingängen oder Fenstern gesucht. Nach irgendeiner Möglichkeit hineinzugelangen. Aber nichts, der Tempel war dicht wie eine Konservenbüchse. Es gab genau einen Zugang – das Tor.
»Junge, komm her!« Wieder diese Stimme. Leise und zittrig.
Matteo ging ein paar Schritte in die Richtung, aus der sie zu kommen schien. In einem Hauseingang kauerte eine magere Gestalt. Eine Frau.
»Komm näher«, säuselte sie. »Hab keine Angst.«
Unschlüssig blieb er stehen. Obwohl er im Moment für jede noch so kleine Hilfe dankbar gewesen wäre, war er nicht ganz sicher, was er von der Alten halten sollte. Ihr Gesicht war gut im Schatten verborgen, nur ihre Augen blitzten daraus hervor, stechend hell wie Eiszapfen.
»Ich …«, murmelte er und schüttelte den Kopf, »muss gehen.«
»So wirst du ihr nicht helfen.«
Ihr helfen? Wie lange hockte die Frau schon da? Hatte sie beobachtet, was mit Lith passiert war? Und wie der Zwerg mit den beiden Barcas im Schlepptau weggefahren war? Mit seinem Hab und Gut , wie er betont hatte. Sogar das Schwert hatte er an sich genommen und das Messer auch. Jetzt besaß Matteo nur noch die zerfetzte Kleidung, die er am Leibe trug. Er hatte keine Waffe, nichts zu essen und zu trinken. Und keine Hoffnung.
Hatte sie gesehen, wie er auf das Podium gestiegen war, um den Tempel aus einiger Entfernung in Augenschein zu nehmen?
Über dem Steinbunker thronte ein weiterer, kleinerer, und der hatte eine Menge Fenster. Nur, wie sollte er da hinaufkommen? Es war aussichtslos, er konnte Lith nicht befreien, unmöglich. Völlig erschlagen hatte er sich an den Pfosten
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