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Der Puls von Jandur

Der Puls von Jandur

Titel: Der Puls von Jandur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mara Lang
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des Galgens gelehnt.
    Die Frau – hatte sie erkannt, dass er nicht mehr weiterwusste?
    »Nein«, sagte sie, »du musst nirgendwo hin. Nur zu mir.«
    »Wer sind Sie?«
    Die Alte kicherte. »Ich? Ich bin das, was aus ihr wird. Eines Tages.« Sie deutete vage in Richtung Tempel. »Ja, das machen sie aus uns. Es geht schneller, als man glaubt.«
    Matteo starrte auf sie herab. Um ihren Kopf war ein violettes Tuch zu einem Turban gewickelt, nicht eine Haarspitze guckte hervor. Das Muster des rot-braunen Kleides kam ihm bekannt vor, der breite, gelbe Schal, den sie um ihre Schultern geschlungen hatte, ergänzte den afrikanischen Look. Kräftige Farben, ein weiter Kittel, Fransen.
    Handschuhe? Nein, ihre Arme waren ungeschützt. Sein Blick schoss an ihre Handgelenke, die sie ihm auch sofort bereitwillig entgegenstreckte, als wüsste sie, wonach er suchte. Da war die wulstige Stelle auf ihrer Haut, rund wie eine Münze. Ganz deutlich konnte er sie sehen.
    »Ja«, flüsterte sie, »ich bin eine Squirra.«
    Er setzte sich zu ihr auf den Boden, keine Sekunde länger hätten ihn seine Beine mehr getragen.
    Ihr Name war Aduka. Sie hatte sechs Jahre im Tempel gedient und war erst kürzlich entlassen worden, wie sie es nannte. Weil sie ihre Arbeit nicht mehr verrichten konnte.
    »Warum das?«, fragte Matteo.
    »Sie machen uns krank.«
    »Krank? Wer?«
    Aduka lächelte schal. »Wie kommt es, dass du so gar nichts weißt?« Sie entfaltete ihre Fascia und er fuhr geschockt zurück. Was sie ihm zeigte, hatte keine Ähnlichkeit mit den zauberhaften Fächern, die er noch von Ansho in Erinnerung hatte. Das hier waren zwei alte Putzlappen. Die Haut war braun und rissig, die Adern wulstig. Und sie raschelten, wie trockenes Herbstlaub. »Die Pulse«, sagte sie, als würde das alles erklären.
    Matteo schüttelte irritiert den Kopf.
    »Darf ich?« Sie wartete keine Antwort ab, sondern brachte ihre Fascia dicht an seinen Bauch. »Ah«, stöhnte sie. In ihrem runzeligen Gesicht verflossen die Falten. »Ich ahnte es.«
    »Was denn?«
    »Dein Puls ist mächtig. Normalerweise erspüre ich nichts mehr, doch dich … dich konnte ich spüren. Schon vorhin, als du aus dem Wagen gesprungen bist.«
    Er räusperte sich.
    »Wer bist du? Wenn du der bist, für den ich dich halte, dann«, ihre Augen wurden schmal, »müsstest du Bescheid wissen.«
    Matteo presste die Lippen zusammen. Was sollte er ihr erzählen? Was durfte er erzählen? Und wozu? Dieses verhutzelte Weiblein konnte ihm sowieso nicht helfen.
    »Ich werde dir sagen, was ich spüre«, erklärte sie.
    Er wartete, dass sie das tat, doch sie blieb still. Für eine ganze Weile. Dann nahm sie seine Hand und bettete sie in ihre Fascia. Sie fühlten sich an wie Pergament. Wächsern. Er schloss die Augen, weil er die zerstörten Fächer nicht länger betrachten konnte.
    »Du trägst Schmerz in dir«, murmelte sie schließlich. »Alten Schmerz, du schleppst ihn schon lange mit dir herum und er verliert nicht an Gewicht. Du wehrst dich und fügst anderen ähnlichen Schmerz zu.« Sie lachte verhalten. »Als ob dich das heilen könnte. Das tut es nicht, die Erlösung währt nur kurz. Doch du machst weiter und weiter, weil du sie benötigst wie Luft zum Atmen. Die Menschen, die du liebst, enttäuschen dich fortwährend und du wagst nicht mehr, ihnen zu vertrauen. Deine Reise war bereits zu Ende, bevor sie erneut begann und dass du hier bist, war nicht dein Wunsch. Zwei Pulse leben in dir …«
    »Aufhören!«, rief Matteo und entzog ihr seine Hand. Er zitterte am ganzen Körper. Diese Squirra wühlte hier ganz ungeniert in seiner Seele. Er konnte nicht ertragen, was sie sagte, weil … weil sie Recht hatte. »Bitte. Nicht.«
    »Es ist wahr.« Sie blickte ihn mitleidig an. Die Fascia rollten sich zusammen und glitten zurück in ihre Arme. Es knisterte. »Du willst sie retten? Die Squirra?«
    Matteo nickte schwach. Ja, das wollte er, musste er. Ohne Lith war er verloren.
    »Warum? Liebst du sie?«
    »Was? Nein!« Er knetete seine Finger, er brauchte irgendetwas, an dem er sich festhalten konnte. »Ich … sie …«
    »Sie bedeutet dir etwas.«
    »Schon. Nein. Ach, ich weiß nicht …«
    Die Worte ploppten in seinem Kopf auf wie Popcorn, er konnte sie nicht länger zurückhalten.
    Er erzählte ihr alles. Die ganze verrückte Geschichte, von Anfang an. Er erzählte von Lith und Nador, von ihren gegensätzlichen Behauptungen. Von der Kaiserin. Von seiner Angst, hierbleiben zu müssen. Nicht mehr nach Hause zu

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