Der Puls von Jandur
letztendlich seinen Glauben an eine friedliche Welt und ein harmonisches Miteinander vieler unterschiedlicher Rassen auf und wandte sich anderen kurzweiligen Unterhaltungen zu.
Nur Cassja, eine weibliche Unai-Choka, entsann sich ihrer Verantwortung. Sie hatte Mitleid mit den Menschen und wand aus ihrem goldenen Haar die Weltenspiralen, um einen Durchgang zwischen den Welten zu ermöglichen. Sie sieht Dunkelheit und Leid, das die Menschen verursachen, doch sie ist nicht mächtig genug, um in bestehende Gegebenheiten einzugreifen. Als Zeichen der Hoffnung schickt sie daher alle hundert Jahre einen Funken Licht in die beiden Welten und schenkt ihn einem Menschensohn oder einer Menschentochter – die Prophezeiung der Cassja , wie es in den Schriften heißt. Der göttliche Energiestrahl manifestiert sich im Puls und sein Träger wird Lichtpuls genannt. Ihm ist die Fähigkeit gegeben, die Menschheit in eine friedliche Zukunft zu führen.« Er machte eine Pause und sah Matteo sinnend an. »Und wie es scheint, Matteo oder Khor oder welcher von den beiden du nun sein magst, wie es scheint, bist du dieser Lichtpuls.«
Fünfzehn
Satt lehnte sich Matteo zurück. Braten mit Kartoffelbrei – ein Festessen. Ganz bewusst hatte er sich auf seinen Teller konzentriert und sich jeden Gedanken an Lith verboten. Er brauchte diese Pause, wenigstens eine Zeit lang. Die Wirklichkeit würde ihn nur allzu bald einholen.
Sie hatten alle gemeinsam am großen Tisch in der Wohnküche gegessen: die Familie – Sebastján, Mayki und ihre dreijährige Tochter Talina –, Aduka und er und die drei Angestellten, die mit im Haus wohnten – eine Dienstmagd, ein Lehrling und ein Geselle. Sie bekamen nicht nur freie Kost und Logis, sondern auch einen Lohn, was nicht üblich sei, wie Sebastján erklärt hatte. Doch es komme ihm falsch vor, ehrliche Arbeit nicht zu bezahlen. Der ehemalige Arzt hatte sein Hobby zum Beruf gemacht und führte eine Tischlerwerkstatt in den ebenerdigen Räumen des Hauses. Das Geschäft gehe gut, er könne sich nicht beklagen.
Jetzt erhoben sich die beiden jungen Männer von ihren Plätzen. Die Squirra war ihnen nicht geheuer, das konnte Matteo an ihren Augen ablesen. Sie wünschten eine »Gute Nacht« und zogen sich zum Schlafen zurück. Mayki atmete hörbar auf. Sie war ganz und gar nicht damit einverstanden, dass Aduka die Nacht im Haus verbringen sollte. Es sei zu gefährlich, einer Squirra Unterschlupf zu gewähren. Doch als Matteo daraufhin auch nicht bleiben wollte, hatte sie zähneknirschend nachgegeben und ihnen beiden einen Platz zum Schlafen in der Werkstatt angeboten.
Adukas Anblick genügte, um Matteos Sorge um Lith wieder aufflammen zu lassen – ihre Falten und die hellgrau gefärbten Pupillen, die aus einer Trübung der Augenlinse resultierten, wie Sebastján erklärt hatte. Grauer Star nannte man das, und zumeist handelte es sich dabei um einen natürlichen Alterungsprozess der Linse, der zu völliger Erblindung führen konnte. Aduka hatte bestätigt, nur mehr Schemen ausmachen zu können, und doch hatte sie keinerlei Schwierigkeiten, sich zu orientieren. Das also blühte auch Lith, wenn Matteo sie nicht schleunigst aus den Fängen der Quellbrüder befreite. Er war ihre einzige Aussicht auf Rettung, niemand sonst würde sich um sie kümmern. Wie es ihr wohl jetzt ging? Ob sie an ihn dachte?
Während Mayki und die Dienstmagd den Tisch abräumten, schaukelte Sebastján Talina auf seinem Schoß.
»Du gehörst ins Bett, Mäuschen«, sagte er liebevoll und strich ihre blonden Locken zurück.
»Ich bin nicht müde«, krähte Talina. »Ich mag bei dir bleiben.«
Matteo schmunzelte. Die übliche Zubettgeh-Diskussion. Das gab es wohl in jeder Familie, egal, in welcher Welt. Er fragte sich, ob Talina wohl einen Soplex hatte.
»Doch, du bist müde«, bekräftigte Sebastján. »Deine Augen sind ganz klein.« Er drückte ihr einen Kuss auf die Stirn. »Seída, bitte leg sie nieder.«
Die Magd nickte und nahm Talina in die Arme. »Sag >Gute Nacht< zu deinem Vater.«
Talina winkte. »Naaacht.«
»Gute Nacht. Schlaf gut.« Sebastján winkte zurück, bis die beiden aus der Tür waren. »Hast du Geschwister?«, fragte er Matteo, als er dessen langen Blick bemerkte.
»Nein.« Matteo seufzte. »Ist auch besser so. Es reicht, ein Kind per Anwalt zu teilen.«
»Hm. Eine Scheidung ist nie leicht. Für keinen der Beteiligten.« Sebastján stopfte umständlich seine Pfeife. »Deine Eltern müssen in großer Sorge um
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