Der Puls von Jandur
Hanforos dafür verwendet werden?«
»Natürlich«, gab sie zurück. »Unter kundiger Hand … Einen Puls wohlgemerkt«, setzte sie mit einem bedeutungsvollen Nicken hinzu, das Sebastján mit hochgezogenen Augenbrauen erwiderte. »Keinen Jungen.«
Hanforos, dachte Matteo. Ihm war plötzlich schwindlig. Extrahieren. Unter kundiger Hand. Puls, Puls, Puls … Ein nicht fassbares Grauen streifte ihn. Das Gefühl, etwas übersehen zu haben. Und schon entglitt es ihm wieder, denn Sebastjáns Frage peitschte auf wie ein Pistolenschuss: »Was ist ein Handy?«
Erschrocken fuhr er zurück. »Ein Handy? Ein Telefon. Ein Gerät zum Telefonieren. Man kann mit Leuten sprechen, die … weit weg sind.«
»Und ein Computer?«
»Auch ein Gerät …« Er brach ab. Wie beschrieb man einen Computer? Der iPod fiel ihm ein. Er holte ihn aus der Hosentasche und reichte ihn an Sebastján weiter. »Hier.«
Der drehte den iPod in den Händen. »Sieht leicht mitgenommen aus, der Gute.«
»Der Akku ist voll. Und bleibt es auch«, sagte Matteo. »Die ganze Zeit, egal, wie lange man hört. Ich denke, die Spirale hat ihn aufgemotzt.«
»Frisiert.« Sebastján lächelte und nickte mehrmals. Sein Blick verlor sich im Strom seiner Gedanken. »Die ultimative Energiequelle der Zukunft. Unerschöpflich. Stell dir vor, was man damit anfangen könnte!«
»Das heißt, Sie glauben mir?«
Sebastján gab Matteo den iPod zurück. »Schätze ja. Obwohl sich deine Geschichte nicht sonderlich glaubwürdig anhört.«
Das musste Matteo zugeben. Aber war es nicht umgekehrt genauso? Wer war dieser Mann, der Deutsch sprach und dem die Worte Handy und Computer so geläufig über die Lippen kamen, als könnte man diese Dinge in Jandur an jeder Ecke kaufen? Der einen iPod als frisiert bezeichnete?
»Und Sie?«, fragte er und bemühte sich, ein wenig Trotz in seine Stimme zu legen. Er hatte auch ein Recht auf Antworten. »Wer sind Sie?«
»Sebastian Schubert aus München. Arzt. Seit sieben Jahren fern der Heimat. Ich nehme an, ich gelte als vermisst oder tot. Du könntest mich googeln.« Er grinste schief.
Matteo schwieg und bemühte sich, diese unbegreifliche Tatsache zu verarbeiten. Nur langsam vernetzten sich die Gedanken in seinem Kopf. »Dann … wie sind Sie hergekommen? Nach Jandur?«
»Durch eine Weltenspirale, genau wie du.«
» Was? Sie haben …?« Matteo spürte das Trommeln seines Herzens bis zum Hals – der Typ hatte eine Weltenspirale! »Darf ich … kann ich sie benutzen? Bitte! Ich muss nach Hause!«
Sebastján legte die Hand auf seine Schulter. »Tut mir leid, dich enttäuschen zu müssen, mein Junge. Ich habe die Spirale nicht mehr.«
Die Euphorie verpuffte und hinterließ ein Ziehen. In der Brust, dort, wo sein aufgewühltes Herz wieder in sich zusammensank. »Aber wieso nicht? Wo ist sie?«
»Tja«, Sebastjáns Gesichtsausdruck wurde abwesend, »das wüsste ich auch gern.«
»Bist du allergisch auf Penizillin?«, fragte Sebastján.
Matteo sah auf. »Nein, soviel ich weiß nicht.«
Sie saßen in einer kleinen Badestube an einem Tisch. Ein Koffer aus Aluminium stand darauf, der genauso wenig nach Jandur passte wie der iPod. Sebastján hatte ihn unter einer Bodendiele hervorgeholt. Nebenan gebe es noch eine geheime Kammer, hatte er erzählt. Ein Labor. Dort experimentiere er mit Medikamenten, stelle Antibiotika und andere Arzneien her. Er habe auch einen Doktortitel in Biochemie. Matteo hatte ihn nur entgeistert angestarrt.
Jetzt, nach dem heißen Bad im Holzzuber (ein Riesenaufwand eigentlich, so viel Wasser über dem Feuer heiß zu machen und eimerweise in die Wanne zu schütten), fühlte er sich das erste Mal seit Tagen richtig sauber. Dreck, Schweiß und Blut waren abgewaschen, dafür waren die vielen Verletzungen und blauen Flecken zu Tage getreten. Er hatte seinen Körper ordentlich geschunden, es gab kaum eine Stelle, die nicht schmerzte. Mit einem leinenen Handtuch um die Hüften wartete er darauf, dass Sebastján ihn verarztete.
»Tetanus geimpft?«
»Ich glaube schon.«
Die Öllampe warf ihren matten Lichtkegel über den Koffer und Matteo inspizierte den Inhalt der Plexiglasfächer: Einmalhandschuhe, Verbandmaterial, chirurgische Instrumente, Spritzen, diverse Ampullen und Medikamente. Die meisten hätten das Verfallsdatum schon überschritten, hatte Sebastján mit einem verschmitzten Lächeln erklärt, seien aber noch verwendbar und in jedem Fall wirksam. Zumindest zu gut neunzig Prozent. Neunzig Prozent war eine
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