Der Puls von Jandur
konnte es besser gebrauchen als er. »Viel Glück.«
Sie verbarg das Messer im Ärmel der Kutte. »Ja. Dir auch.«
Er holte Luft. »Eins, zwei, drei – los!«
Die Türflügel schwangen auf. Die Nymure sang. Grelles Licht blendete Matteo, er blinzelte und stürzte vorwärts, hinein in die Menschenmenge.
»Die Squirre!«, brüllte ein Bruder. »Haltet sie auf!«
Hände griffen nach Matteo, er tauchte darunter weg und betete, dass auch Beydur und Lith die ersten paar Meter geschafft hatten.
Er rannte und zwang sich, nicht auf den Gesang zu hören. Weiter, weiter, weiter, sagte er sich in Gedanken vor, um sich abzulenken.
Das Gedränge war nicht allzu dicht und die Leute waren zu perplex, um schnell genug zu reagieren. Immer wieder konnte er Haken schlagen und Lücken finden und er bildete sich ein, Beydurs Bewegungen hinter sich zu spüren. Aber vielleicht war das auch nur das Meer an Menschen, das hinter ihm zuschwappte.
»Haltet sie!« Die Schreie erklangen jetzt auch vom Dach des Tempels, gleichzeitig stoppte die Arie der Nymure. »Festnehmen! Lasst sie nicht entkommen!«
Matteo hielt sich so gut es ging parallel zum Tempel. Wenn er den Platz erst überquert hatte, war die Bahn frei und er konnte so richtig Gas geben.
Um sich machte er sich weniger Sorgen. Er fiel in dieser Stadt nicht weiter auf. Doch Lith und Beydur stachen mit ihren dunklen Köpfen unverkennbar hervor, die weißen Kutten taten ihr Übriges.
»Da! Links! Die Squirra!«, ertönte es und die Leute wandten die Köpfe. Beinahe augenblicklich drängte alles in die angegebene Richtung. Sämtliche Lücken schlossen sich, da war nur noch ein Gewirr aus Leibern, Armen und Beinen. Matteo wurde vom Strom mitgerissen, er driftete ab wie ein Stück Treibholz. Er schubste und stieß und boxte mit den Fäusten um sich. Der Schweiß brannte in seinen Augen und in seinem Soplex brannte die Angst um Lith. Das erste Mal konnte er fühlen, wie sich der Funken tief in seinem Inneren entzündete. Nein! Nicht jetzt! Bloß nicht!
»Hierher!« Er winkte mit beiden Armen, um die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Damit Lith fliehen konnte. »Hierher, hierher!«
Es funktionierte einwandfrei. Die Masse machte kehrt und wälzte sich nun auf ihn zu. Wie umgepolt. Hände fassten nach seinen Schultern, tappten ihm ins Gesicht, grapschten nach seinem Nacken. Wieder bückte er sich darunter weg. Er schlüpfte durch einen Spalt und hetzte weiter.
Sein Fall kam schnell und unerwartet. Noch bevor er am Boden aufschlug, wusste er, was passiert war: Jemand hatte ihm ein Bein gestellt.
»Ich hab ihn!«, schrie eine Männerstimme auch prompt. »Hier ist er! Ich hab ihn!«
Eine Hand zerrte ihn am Jackenkragen hoch. Matteo stemmte sich dagegen, wand sich und riss an. Er glitt aus den Ärmeln und war frei. Ein Sprung nach links, im Zickzack nach rechts und er war wieder am Laufen. Bonuspunkte, ein Leben gewonnen – das Spiel konnte weitergehen.
»Na warte, Bürschchen!«, brüllte ihm der Mann hinterher.
Sicher nicht! Matteo wollte sich an einer Menschengruppe vorbeischlängeln, da teilte sie sich und er konnte sehen, was sich in ihrer Mitte abspielte.
Beydur! Sie hatten ihn erwischt.
Zwei Männer hielten ihn an den Oberarmen gepackt, er keuchte vor Anstrengung und grüne Tränenbahnen liefen über seine Wangen herab. Für einen Herzschlag kreuzte sich ihr Blick.
Ein Herzschlag, der genügte.
Arme schlossen sich um Matteos Oberkörper, stahlhart wie Zangen. Sie pressten die Luft aus seinen Lungen, drohten seinen Brustkorb zu zermalmen. Er wollte schreien, doch er brauchte seinen Atem, um am Leben zu bleiben.
»Hab ich dich!«, zischte jemand an seinem Ohr. Matteo schielte über seine Schulter und erkannte Bruder Lenard. »Vielleicht interessiert es dich, dass die Squirra entkommen ist. Dafür wirst du büßen.« Er sagte es sanft, beinahe zärtlich, und verstärkte den Druck seiner Arme.
Dunkelheit rollte heran und benebelte Matteos Denken. Er wollte sich schon ergeben, da fingen seine Augen ein Bild, das sich tief in sein Herz bohrte: Zwei Quellbrüder legten Beydur einen Halsring an und fesselten ihm die Hände auf den Rücken. Dann stießen sie ihn vorwärts mitten durch die gaffende Menge auf den Tempel zu.
Matteo stöhnte auf.
»Ja«, flüsterte Lenard, »ganz genau. Du bist der Schuldige. Der Squirre wird seine Strafe erhalten und du bist dafür verantwortlich. Aber sei unbesorgt, dein Leiden wird nicht von Dauer sein.« Er lockerte seinen Griff und Matteo
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