Der Puls von Jandur
Menschen und obendrein die Quellbrüder. Sie würden sie einfangen und bestrafen, die Zelle schärfer bewachen und dann war Essig mit der Flucht in der Nacht. Er musste das verhindern, unbedingt. Doch wie?
Matteo riskierte einen Blick. Sie waren jetzt vor dem Altar. Die beiden Squirre trippelten vorneweg, die Fußfesseln behinderten sie beim Gehen. Jedem war eine zusätzliche Kette um die Taille geschlungen worden und der Bruder rasselte ungeduldig mit den Enden. Er trieb sie vorwärts wie Tiere. Am Gürtel seiner Kutte klimperte ein Schlüsselbund.
Die Schlüssel. Wie sorglos! Matteos Gedanken rasten. Sie waren zu dritt. Drei gegen einen, das war machbar. Aber dann? Er zögerte.
Lith zögerte nicht. Blitzschnell donnerte sie dem Quellbruder den Ellbogen in den Soplex. Er schrie auf und krümmte sich vor Schmerzen. Toll. Und was weiter? Denken ist Luxus. Egal, jetzt war es ohnehin zu spät. Matteo fuhr hoch.
Er flitzte auf den Altar zu. Wenn er sich recht erinnerte, lag dort ein aufgeschlagenes Buch, ein richtiger Wälzer. Ja, da war es. Vermutlich die Schriften .
Lith hatte dem Bruder die Kette entrissen und sie um seinen Hals gewickelt. Sein Schrei war zu einem Röcheln erstickt, er ging in die Knie.
Matteo schlug das Buch zu und nahm es an sich. Schwer lag es in seinen Händen – genau richtig. Er hob es an und zog es dem Bruder mit aller Kraft über den Kopf. Der Mann sackte bewusstlos zusammen.
»Bücher sind so praktisch«, sagte Matteo und deponierte die Schriften auf einer Bank.
Beydur stierte ihn mit offenem Mund an.
»Schnell, die Schlüssel«, zischte Lith. Ihre Finger krallten sich um die Kettenglieder, sie gab nicht einen Zentimeter nach.
Matteo löste den Schlüsselbund vom Gürtel des Bruders. »Lass locker, du erwürgst ihn noch.«
»Und? Soll ich mir etwa Sorgen um ihn machen?«
»Du musst ihn ja nicht gleich umbringen.«
Lith murmelte etwas Unflätiges und ließ den Mann widerwillig zu Boden gleiten.
Fieberhaft suchte Matteo nach dem richtigen Schlüssel. Er griff an Liths nacktes Fußgelenk und als er kurz aufsah, traf ihn ihr durchdringender Blick. Die Brüder hatten ihr alles abgenommen: die Stiefel, ihre Kleider und Handschuhe, sogar die Ringe. Nicht zu vergessen die Haare.
Der dritte Schlüssel passte und die Fußfessel sprang auf. Nach der Reihe befreite Matteo Lith und Beydur von den Ketten.
»Gibt es noch einen anderen Ausgang, Beydur?«, fragte Lith.
Der Junge schüttelte stumm den Kopf.
»Fein! Und wie kommen wir hier raus? Genialer Plan, Matteo!«
Er rang um Fassung. Hatte sie denn gewusst, dass er noch da war? Und was er vorhatte?
»Ich hatte einen ganz anderen«, verteidigte er sich, »aber du musstest es ja gar so eilig haben.«
»Komisch! Warum bloß? Wo ich mich doch so gerne foltern lasse.«
Großartig, sie stritten schon wieder. Diesmal störte er sich nicht daran, im Gegenteil – ihr Gezanke gab ihm Auftrieb. Sie hakten ineinander wie Zahnräder.
Er grinste breit. »Ach, halt den Mund, mach dich lieber bereit für einen Sprint. Die Tür geht nach außen auf. Wenn wir sie mit Schwung aufstoßen und losrennen …«
»Ihr seid irre«, fiel ihm Beydur ins Wort und seine Stimme ließ Matteo erschauern. Hell und kindlich war sie und widersprach damit gänzlich seinem Erwachsenengesicht. »Komplett irre. Das klappt nie. Sie werden uns fangen und auspeitschen.«
»Das würden sie sowieso«, entgegnete Lith. »Schon allein seinetwegen.« Sie kickte den ohnmächtigen Bruder in die Seite. »Mach was du willst, Beydur. Du kannst hierbleiben und dein Schicksal erwarten. Oder du läufst ihm entgegen. Es ist eine Chance und ich werde sie nutzen.«
»Schwing keine Reden, komm!«, rief Matteo.
Beydur folgte ihnen, als sie zum Tor rannten. Der Riegel war angehoben. Sie stellten sich vor die Türflügel, Lith und Beydur an die eine Seite, Matteo an die andere.
»Wir stoßen mit aller Kraft«, flüsterte Matteo. »Danach müsst ihr euch sofort in die Menge schlagen, nach rechts, denn links steht der Wagen. Klar? Nach rechts! Wir treffen uns auf dem Markt, dort gibt es einen Brunnen. In der Nacht, zum Gongschlag. Ich werde dort sein und auf euch warten.«
Sie nickten. Beydurs Augen waren vor Angst geweitet.
»Halte dich dicht hinter mir, Beydur«, sagte Matteo. Mehr Hilfestellung konnte er ihm nicht anbieten. »Lith?«
Fragend sah sie ihn an. Er drückte ihr das Messer in die Hand, das Sebastján ihm für den Notfall mitgegeben hatte. Nun, dies war ein Notfall und Lith
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