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Der Puls von Jandur

Der Puls von Jandur

Titel: Der Puls von Jandur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mara Lang
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japste nach Luft.
    Um sie herum hatte die Menge in respektvollem Abstand einen Kreis gebildet. Lenard packte Matteo an den Schultern und präsentierte ihn den Leuten.
    »Seht!«, rief er und drehte sein Opfer mit sich mit, so dass es auch alle betrachten konnten. »Seht, ihr Brüder und Schwestern, seht ihn euch an! Dieser Kerl hier hat den beiden Squirre zur Flucht verholfen. Durch eure Hilfe konnten wir unseren Jungen wieder einfangen – habt Dank dafür und seid gesegnet! Das Mädchen aber ist entkommen. Sie war Eigentum der Bruderschaft und damit auch euer Eigentum!«
    Eigentum? »Sie ist kein Eigentum!« schrie Matteo. »Niemand ist das Eigentum eines anderen!« Er wagte den sinnlosen Versuch, dem zangenartigen Griff an seinen Schultern zu entrinnen. Doch der Quellbruder grub seine Finger nur noch tiefer, bis zum Knochen, so fühlte es sich an. Matteo heulte auf.
    »Ja, euer Eigentum«, wiederholte Lenard mit Nachdruck, »euer Besitz. Er nahm es euch weg. Wie nennt ihr ein solches Vergehen?«
    »Diebstahl!«, rief ein Mann und andere fielen mit ein: »Ja, das ist Diebstahl!«
    »Er ist ein Verbrecher! Er muss bestraft werden!«, erschallte es von ganz hinten.
    »Schlagt ihm die Hand ab!«, keifte eine Frau und das Echo fegte mit tausend Stimmen über den Platz: »Schlagt ihm die Hand ab!«
    Verbrecher … Diebstahl … Hand abschlagen, Hand abschlagen, Hand … Grauen ergriff von Matteo Besitz. Es brach jeden Widerstand und er sank in sich zusammen.
    Mit einem Wink gebot Lenard seinem sensationslüsternen Publikum Ruhe. »Nun, ihr habt Recht, meine Brüder und Schwestern. Es ist Diebstahl, doch das Urteil erscheint mir zu milde. Seht ihn euch an! Er ist ein Rebell, vielleicht gar einer von Lord Nadors Getreuen. Ein Aufrührer, ein Ungläubiger! Seht das Feuer in seinem Blick! Nichts wird seinen Willen brechen. Er wird seine Hand verlieren, doch wird ihn das läutern? Nein, sage ich. Nein! Er wird es wieder tun, wird auch den zweiten Squirre befreien. Wollt ihr das riskieren?«
    »Nein! Nein! Nein!«, riefen die Leute und stießen die Fäuste zum Himmel.
    Bruder Lenard verstand es vortrefflich, die Menge aufzuheizen, das musste man ihm lassen. Wie auf einer Drehbühne in der Disco bewegte er sich mit Matteo unablässig um die eigene Achse. »Die Squirra ist geflohen, auf unserem Barca, der Transport der Auserwählten kann nicht stattfinden. Er hat ihnen die Möglichkeit genommen, ins Quellparadies einzugehen! Er hat ihr Leiden auf Erden verlängert, hat sie dazu verdammt, weiter ihr qualvolles Leben zu führen! Er! Ich frage euch: Ist er schuldig?«
    »Schuldig, schuldig!«, tobte die Menge.
    »Und welche Strafe steht auf diese Tat?«, brüllte Lenard. Er beugte sich über Matteo. »Hm? Was glaubst du, Junge?«
    Matteo glaubte gar nichts, die Welt vor ihm zerfloss. Gesichter starrten ihn an, nicht zwanzig, dreißig, vierzig, nein: Hunderte. Schneller und schneller kreisten sie um ihn herum und aus ihren weit geöffneten Mündern kam der eine Satz, immer wieder, immer lauter: »Hängt ihn!«

Siebzehn
    Verlor man in solchen Fällen nicht das Bewusstsein? Wenn das Entsetzen zu groß, die Panik zu übermächtig und der Tod bereits so nahe war, dass man seinen kalten Hauch auf der Haut spürte? Das hatte er in etlichen Büchern gelesen und in Filmen gesehen. Der Held wurde ohnmächtig – Schnitt. Sehnsüchtig wartete Matteo darauf, dass ihm schwarz vor Augen wurde, aber es geschah nicht.
    Nichts geschah. Seine Knie wurden nicht weich, sein Magen nicht flau und sein Hirn nicht leer. Sein Körper arbeitete wie gewohnt. Vielleicht ein wenig betäubt, aber dennoch tadellos.
    Bruder Lenard hatte nach der Stadtwache gerufen und vier Männer in blauen Uniformen waren dienstbeflissen herbeigeeilt.
    »Sie dürfen den Verbrecher zum Galgen bringen«, erklärte er gönnerhaft und schob Matteo von sich. »Ich denke, das Urteil ist gefällt.«
    So war das also. Das Urteil war gefällt. Ohne Prozess, bloß durch ein wenig Geschrei. Wie auf dem Markt. Schlagt ihm die Hand ab, oder nein, hängt ihn besser. Wer bietet mehr?
    Ha! Galgenhumor! Matteo brachte ein gequältes Lächeln zu Stande. Gut, dass wenigstens Lith entkommen ist, vielleicht ist sie schon raus aus der Stadt. Interessant – er hatte erstaunlich klare Gedanken für einen zum Tode Verurteilten.
    Die Wachen nahmen Matteo in ihre Mitte, ganz so, als hätten sie Sorge, er könnte ihnen auf dem kurzen Stück zum Podium noch entwischen.
    Daran war nicht zu denken. Selbst

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