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Der Puls von Jandur

Der Puls von Jandur

Titel: Der Puls von Jandur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mara Lang
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wenn Matteo die nötige Kraft gehabt hätte, sich zu befreien, so würde er nicht weit kommen. Die Leute würden sich wie ein Rudel hungriger Wölfe auf ihn stürzen und ihn zu Hackfleisch verarbeiten. Sie waren auseinander gewichen und hatten eine breite Gasse gebildet. Der Krawall von vorhin war zwar beendet und eine gespannte Ruhe hing über dem Platz, doch in den Augen der Umstehenden stand blanker Hass.
    »Verräter!«, »Diebesgesindel!« und »Ungläubiger!« zischte es von allen Seiten, als Matteo abgeführt wurde. Er konnte mit den großen, schnellen Schritten der Wachen nicht mithalten und so schleiften sie ihn mehr, als dass er ging. Stiefelabsätze hallten auf dem Pflaster. Die Turmuhr schlug. Sie rief die Bürger der Stadt zur Hinrichtung. Zu seiner Hinrichtung.
    Halb trugen sie ihn, halb stolperte Matteo zwischen den Wachen die Treppe hinauf zum Galgen. Oben war bereits ein Seil über den Balken geworfen worden.
    Sie arbeiten schnell. Bloß keine Verzögerung.
    Die Schlinge war geknüpft und der Henker stand bereit. Er war ganz in schwarz gekleidet – ein schmächtiges Männlein mit Halbglatze, sein zerrupfter Haarkranz reichte ihm bis auf die Schultern. Matteo fragte sich einen irren Moment lang, wie ihn dieses Gerippe wohl hochziehen würde. Falls man das überhaupt so machte. Dann sah er die Klappe, die in den Holzboden eingearbeitet war. Direkt unter dem Strick. Gleich daneben war ein Hebel. Weshalb war ihm das nicht schon eher aufgefallen? Eine Falltür.
    Die Wachen stießen Matteo vorwärts, bis er darauf zu stehen kam. Einer der Männer fesselte ihm die Hände hinter dem Rücken. Als die Seile seine Handgelenke einschnürten, schnürte sich auch sein Inneres zusammen. Verzweifelt suchte er nach dem Feuer in seinem Bauch. Jetzt, ja, jetzt hätte er es gut gebrauchen können. Wann, wenn nicht jetzt?
    Doch sein Puls schwieg. Sein Soplex war zu einem Stein geschrumpft, zu einem schweren, scharfkantigen Stein. Er konnte nicht entflammen.
    Vor dem Podium wogten die Menschenmassen. Ihre Hitze strömte Matteo entgegen, er schwitzte. Der Henker blies ihm seinen fauligen Atem ins Gesicht, als er ihm die Schlinge um den Hals legte. Das war der Punkt, an dem Matteo es wirklich realisierte. Er würde sterben. Nicht irgendwann. Nein, jetzt.
    Das Seil war schwer und kratzig. Wie würde es sein, wenn es sich festzog?
    Lieber nicht darüber nachdenken, lieber nicht hier sein, lieber …
    Matteo kniff die Augen zu, ein Zucken durchlief seine Beine.
    Er rannte. Rannte, schnell wie der Wind. Fort.
    Fort.
    Fort aus diesem grässlichen Albtraum.
    Er rannte über den Platz, aus der Stadt, über Wiesen und Felder, quer durch den Wald. Nach Hause, wo Andrea und Brizio auf ihn warteten. Sie winkten ihm zu. Er keuchte, bekam kaum noch Luft, lief nur noch schneller. Andrea breitete die Arme aus, er hörte ihre Stimme: Matteo, mein Schatz, du bist zurück, mein Junge …
    »… ein Junge! Ein Kind!«, schrie eine andere Stimme und Matteo riss die Augen auf. Sebastján! Wo? Wo war er?
    Der kleine Stein in seinem Bauch, der sein Puls war, rumorte sacht.
    »Ein Junge, ja«, kam die Antwort vom Podium. »Der eine schreckliche Tat begangen hat. Er muss bestraft werden.«
    Matteo fuhr herum. Wer war dieser Mann im dunkelroten Umhang, der neben dem Henker stand und angestrengt nach unten schaute? Wann war er gekommen?
    »Aber doch nicht mit dem Tod!«, rief Sebastján und entlockte damit den Leuten ringsum empörtes Gemurmel. »Ihr seid der Richter, es liegt in Eurer Hand! Er ist ein Kind, bei den Smaragdflüssen, lasst Gnade walten!«
    Der Richter also. Es gab einen Richter, es gab Hoffnung.
    Matteo suchte die Vielzahl an Köpfen ab. Ganz hinten entdeckte er Sebastján, daneben Mayki. Sie zupfte an seinem Ärmel, flüsterte ihm etwas zu. Sei still! Bei den Flüssen, sei still! Matteo konnte sie beinahe hören.
    Sein Blick irrte zu jenem Hauseingang, in dem er mit Aduka gesessen hatte. Erst vor wenigen Stunden. Es kam ihm vor, als sei es bereits Jahre her. Ja, da lehnte die Squirra in der Nische, ihre Faust gegen den Mund gepresst. Weinte sie?
    Immer noch schnaufte Matteo wie eine alte Dampflock, er hatte keine Ahnung, warum. Seine Lungen pumpten wie verrückt, obwohl er doch ganz ruhig stand. Ganz ruhig.
    »Sind Sie sein Fürsprecher?« Bruder Lenard erklomm das Podium. Jegliche Farbe war aus seinem Gesicht gewichen, es war fast so bleich wie sein Haar. Seine Lippen bebten vor unterdrücktem Zorn. »Sein Vater? Oder gar sein

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