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Der Puls von Jandur

Der Puls von Jandur

Titel: Der Puls von Jandur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mara Lang
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keuchen. Gleichzeitig blickten sie nach unten.
    Da waren sie, ihre Fascia. Türkisblaue Fächer, etwa doppelt so groß wie ihre Hände. Ihr beider Atem versetzte sie in Bewegung, sie schwebten und tanzten, wie Wasserpflanzen in sachter Meeresströmung. Dabei veränderte sich ihre Farbe, über dem Blau lag schillerndes Perlmutt.
    Matteo konnte den Blick nicht abwenden. Sie waren so wunderschön. Anmutig. Wie hatte sie ihm das nur vorenthalten können?
    In diesem Moment verzieh er ihr. Alles. Ihre Lügen, ihre ekelhafte Art, die Ohrfeigen – einfach alles. Ganz plötzlich wusste er, weshalb er sie retten wollte. Nicht, weil es sich so gehörte und sie ein Leben in Gefangenschaft nicht verdiente. Nicht, weil ihr sonst niemand zu Hilfe kommen würde. Nicht, weil er sie zur Rede stellen wollte. Sondern allein deshalb, weil sie ihm wichtig war.
    Hier stand er vor dem Mädchen, das ihn betrogen und getäuscht hatte, und er hatte dieses bescheuerte Bedürfnis, sie zu umarmen. Sie zu trösten.
    Sie mochte hundert Fehler haben, es spielte keine Rolle mehr. Und warum? Weil sie eine Freundin war, nichts anderes. Ja, Aduka hatte Recht: Er mochte sie. Mochte sie viel zu sehr.
    »Was ist?«, blaffte Liths Bewacher. »Ja oder nein?«
    Gehetzt blickte sie über die Schulter, dann kehrten ihre Augen zu Matteo zurück. Unmerklich schüttelte sie den Kopf. Bist du verrückt hierherzukommen? , sollte das wohl bedeuten. Er zuckte die Achseln und sie schürzte die Lippen. Fast musste er lachen – sie war noch die Alte.
    »Nein«, murmelte Lith und bog in die zweite Reihe ab.
    Matteo setzte sich und durfte sich endlich damit beschäftigen, wie und wann er ungesehen unter eine Bank schlüpfen konnte.
    Am Ende lief es ganz unkompliziert ab. Die Squirre wurden weggebracht, die Prozession mit den ausgewählten Pulsen zog von dannen, die übrigen Gläubigen folgten. Im allgemeinen Tumult des Aufbruchs achtete niemand darauf, dass Matteo sich bückte und so tat, als müsste er seine Hose in die Stiefel stopfen.
    Als die Leute an ihm vorbei waren und niemand hinsah, huschte er in eine der hinteren Sitzreihen und verschwand ruck, zuck unter der Bank. Er drückte sich tief in den Schatten und wartete mit klopfendem Herzen darauf, dass Ruhe im Tempel einkehrte.
    Es roch nach frischem Holz und Harz. Nicht dieser modrige, altertümliche Geruch, den die Kirchenbänke in Wien ausdünsteten. Matteo fand es beinahe angenehm auf dem kühlen Steinboden zu liegen und ein wenig zu verschnaufen.
    In Gedanken legte er sich eine Checkliste für sein Vorhaben an: In der Nacht, wenn die Brüder schliefen, musste er durch die Tür links zur Treppe. Sie führte in das Untergeschoss, dort waren die Zellen für die Nymure und die Squirre. In einer Kammer hielt ein Bruder Wache. Aber er würde mit Sicherheit schlafen, hatte Aduka erklärt. Der Schlüssel zu den Zellen hing an der Wand neben der Tür. Einer davon sperrte auch die Kammer und zuerst musste er den Bruder darin einschließen. Als nächstes galt es, die Zellen zu öffnen und danach die Ketten, und zwar von Lith und Beydur. Er hatte Aduka versprochen, den Jungen mitzunehmen. Falls möglich wollte er auch die Nymure befreien. Anschließend mussten sie schnell und leise verschwinden.
    Ja, es konnte gelingen. Es musste gelingen, denn falls sie dabei ertappt wurden …
    Das Tor zum Tempel wurde aufgerissen.
    »Hol beide Squirre, dann geht es schneller!«, befahl eine Männerstimme. »Und beeil dich, bevor noch das Chaos ausbricht. Die Nymure kann nicht ewig singen.«
    Das Tor fiel wieder zu und ein Quellbruder lief durch den Gang und zur Tür, hinter der Matteo die Treppe wusste.
    Er robbte unter der Bank hervor. Die Squirre sollten hinaus? Waren Menschen auf den Wagen geklettert? Mussten die Auserwählten noch einmal geprüft werden? Er hastete durch den Hauptgang ein Stück nach vorn und versteckte sich erneut unter einer Bank.
    Es dauerte nicht lange, da klirrten die Ketten und Schritte waren zu vernehmen.
    »Schneller, macht schon!«, befahl der Bruder. »Und keine Faxen da draußen.«
    »Draußen?«, hakte Lith nach und Matteo hörte die Erregung in ihrer Stimme. Er hörte den speziellen Unterton, das Feuer, das in ihr brannte, den Zorn, und er wusste, was das bedeutete: Sie würde versuchen zu fliehen, ganz sicher sogar, und damit seinen schönen Plan über den Haufen werfen.
    Shit. Lith hatte ja keine Ahnung, wie es sich auf dem Platz abspielte. Ohne Hilfe würde sie es nie schaffen. Dort waren zu viele

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