Der Puppen-Galgen
entsprechenden Handwerker zu besorgen. Viele waren froh, nach Feierabend oder auch in der Nacht arbeiten zu können, und so war die Renovierung des Kellers dann sehr schnell fortgeschritten.
Noch eine Nacht.
Sie lächelte. Ihre Gedanken drehten sich um Jane Collins. Sie würde kommen, sie würde in den nächsten Stunden auf die Puppen achtgeben, aber sie konnte nicht wissen, daß es die letzte Nacht für sie sein würde.
Und auch der Ausgang war ungewiß. Zwar wußte Melle nichts Genaues, doch sie konnte dabei nur gewinnen.
Als sie den rechten Arm anhob, wurde ihr Lächeln breiter. Sie freute sich darüber, die Puppen auf der Kommode streicheln zu können. Die Berührungen waren wichtig, denn für Melle Fenton waren die Puppen keine leblosen Gegenstände, mit denen man nur spielte. Sie waren einfach Lebewesen. Einen Hund oder eine Katze hätte sie auf keinen Fall anders behandelt.
Die Puppen dankten ihr diese liebevolle Behandlung. Wenn sie von der menschlichen Haut berührt wurden, dann hatte Melle für einen Moment den Eindruck, unter der künstlichen Haut Leben zu spüren. Zumindest eine gewisse Wärme, die sich auch in Bewegung befand, als würde durch die Puppen Blut fließen.
War das möglich?
Ja, sie traute diesem Dracula II alles zu. Er war die Macht, er wußte auch über ihre Puppen Bescheid, und sie konnte sich vorstellen, daß er sich intensiv um sie gekümmert hatte. Sie hatte ihre Lieblinge auch nicht aus der alten Wohnung wegschaffen müssen, ein anderer – wahrscheinlich Mallmann – hatte es für sie besorgt, und erst in diesem Haus hatte sie ihre Lieblinge wiedergesehen.
Es war alles glattgegangen. Sie hatte einziehen können. Von einem Tag auf den anderen. Es gab wohl einen Mietvertrag, aber darum hatte sie sich nicht zu kümmern brauchen.
»Es ist alles in Ordnung«, hatte ihr Dracula II gesagt. »Bau dein Theater und merke dir ansonsten nur, was ich dir gesagt habe. Ich arbeite schon länger an meinem Plan. Das solltest du mir unbesehen glauben.«
Und sie glaubte es ihm, denn nun war sie froh darüber, einen derartigen Freund und Beschützer gefunden zu haben, auch wenn sie ihm skeptisch gegenüberstand und sich schon vor ihm ängstigte. Obwohl sie ihm auf der anderen Seite Vertrauen entgegenbrachte.
Melle strich über die letzte Puppe hinweg. Es war ein Junge. Er trug ein blauweiß kariertes Hemd und dazu eine kurze Hose mit Hosenträgern, die seine Schultern umspannten. Die Füße steckten in kleinen, schwarzen Halbschuhen, und das künstliche Haar war strohblond.
Wärme unter der Haut!
Stark sogar. Stärker als bei den anderen Puppen. Irielle irritierte dies, aber sie zog die Hand nicht weg, sondern ließ sie auf der linken Wange der Puppe liegen. Mit großer Mühe unterdrückte sie ihr eigenes Zittern, weil sie bei ihrem Test durch nichts abgelenkt werden wollte.
Und ihr Gefühl stimmte.
In der Puppe bewegte sich etwas. Da durchströmte ein unbekannter Fluß den Körper.
So warm, aber nicht beruhigend für sie. Vor einer Woche noch war das nicht so gewesen.
Dann spürte sie das Zucken! Es war keine Einbildung!
Scharf saugte sie die Luft ein. Für einen Moment schloß sie die Augen, um sie dann später wieder zu öffnen und in das Gesicht der Puppe zu schauen.
Der kleine Mund war noch da. Zwar lagen die Lippen aufeinander, aber sie hatten sich jetzt verzogen. Der Mund hatte sich geöffnet. Und aus ihm ragte etwas hervor.
Hell, leicht gelblich mit weißen Einschlüssen – ein spitzer Zahn!
Irielle Fenton schrak so stark zusammen, daß sie den leisen Schrei nicht mehr halten konnte. Hastig ließ die Hand die Puppe los, und ebenso hastig trat die Frau zurück. Mit einer heftigen Bewegung strich sie durch ihre Locken, um die rechte Hand dann gegen die Wange zu pressen, wo sie auch verharrte.
Die Frau war durcheinander. Daß mit ihren Puppen etwas nicht stimmte, wußte sie, das hatte sie ja auch gespürt. Aber daß sich ihre Lieblinge so dramatisch und drastisch verändert hatten, darüber mußte sie erst hinwegkommen. Sie sah auch keine Lösung für dieses Problem. Zwar brachte sie es in einen Zusammenhang mit den Aktivitäten eines Will Mallmann, aber Einzelheiten kannte sie nicht.
Sie hing zurück und schüttelte den Kopf. Ihr Mund bewegte sich. Die Worte, die sie sagen wollte, wußte sie schon, aber Irielle konnte in diesen Momenten einfach nicht sprechen. Da war ihr Mund zu, und auch ihre Psyche schien erstickt zu sein.
Die Puppe hatte sich verändert. Nur sie, oder
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