Der Puppen-Galgen
angezogen. Du begreifst, was ich damit sagen will?«
»Klar, die Puppen leben auf ihre Art und Weise.«
»Sehr richtig.«
Ich strich über mein Haar und fragte dann: »Hast du denn mit Irielle Fenton schon darüber gesprochen?«
»Nein, wo denkst du hin? Ich will sie doch nicht mißtrauisch machen. Sie soll mich für harmlos halten. Wobei ich mir nicht sicher bin, ob sie nicht schon mehr über mich weiß.«
»Das ist auch möglich«, gab ich zu.
»Jedenfalls möchte ich dich bitten, daß du den Yard-Apparat einschaltest.«
»Aha. Jetzt kommen wir zur Sache. Was soll ich für dich herausfinden?«
»Mehr über Irielle Fenton.«
»Du willst wissen, woher sie kommt und ob etwas gegen sie vorliegt.«
»Ja.«
»Traust du ihr nicht? Hast du zumindest einen bestimmten Verdacht, woher sie kommen könnte?«
Jane verneinte. »Sie hat nichts erzählt. Aber sie stammt auch nicht aus London, sondern aus dem Südwesten. Ich habe sie einige Male gefragt, aber nur ausweichende Antworten erhalten. Zumindest weiß ich jetzt, daß sie aus einem Ort kommt, der New Romney heißt. Mehr kann ich dir auch nicht sagen.«
»Du hast also noch nicht nachgeforscht?«
»Das habe ich nicht.«
»Gut, dann werde ich das machen. Sollte ich etwas herausfinden, wo kann ich dich erreichen? Bei Sarah Goldwyn?«
Jane schüttelte den Kopf. »Nein, ich muß in knapp zwei Stunden meinen abendlichen Dienst antreten, der sich einige Stunden hinziehen wird.«
»Auch die Nacht über?«
»Glaube ich nicht. Zumeist kehrt die Fenton gegen Mitternacht zurück.«
»Arbeiten die Handwerker denn nachts in ihrem neuen Theater?«
»Darüber kann ich mich auch nur wundern, John.« Sie trank ihr Glas leer. »Du hast also gehört, daß hier einige Unstimmigkeiten zusammenkommen. Es ist nicht schlimm, nicht viel, aber es summiert sich halt. Und ich werde noch mißtrauischer sein.«
»Schlaf nur nicht ein, wenn du mit deinen Puppen allein bist.«
Jane lachte. »Das auf keinen Fall.«
»Vielleicht kannst du deine Auftraggeberin noch etwas aushorchen.«
»Auf keinen Fall. Was die nicht sagen will, das will sie nicht sagen. Sie ist sehr komisch. Ich kann dir das nicht erklären, aber ich denke mir, daß du sie irgendwann kennenlernen wirst.«
»Das hoffe ich sogar.«
»Außerdem hängt sie mit einer Affenliebe an ihren Puppen. Die ist wie eine Mutter zu ihren Kindern.«
»Es gibt ja auch das Wort Puppenmutter«, sagte ich.
»Stimmt. Nur denkt man dabei zumeist an Kinder. An sehr junge Mädchen und nicht an Erwachsene.« Janes Gesicht nahm einen harten Ausdruck an. »Du kannst sagen, was du willst, John, aber ich traue dieser Person nicht von hier bis zum Fenster.«
»Eine sehr kurze Distanz.«
»Das kannst du wohl sagen, und ich würde mich nicht wundern, wenn sie das große Monster unter all den kleinen Monstren wäre.« Sie nickte entschlossen und wechselte das Thema. »So, jetzt darf ich auch die Rechnung übernehmen.«
»Dagegen habe ich nichts, liebe Jane…«
Irielle Fenton stand vor dem Spiegel in der großen Diele ihres Hauses, das sie seit ihrem Verschwinden aus Romney gemietet hatte. Sie betrachtete sich, und was ihr der Wandspiegel mit seinem geschwungenen Rahmen zurückgab, das gefiel ihr schon, denn sie sah sich durchaus als schöne Frau.
Sehr dunkle, rabenschwarze, gelockte Haare, die zu beiden Seiten des Kopfes nach unten flössen. Ein rundes Gesicht mit einer etwas zu blassen Haut, aber großen, dunklen Augen. Ein kleiner Kirschmund, schräg darüber die pausbäckigen Wangen, die im Gegensatz zur anderen Gesichtshaut einen Hauch von Röte zeigten.
Sie sah aus wie Schneewittchen. Ja, so konnte man sich das Schneewittchen vorstellen. Auch das Kleid paßte zu ihr.
Es war weiß, an verschiedenen Stellen kräuselte sich der verschwenderisch verwendete Stoff. Am Saum und an den Rändern der Ärmel bauschte er sich durch die angesetzten Rüschen auf. Vom Hals her, dabei auch die Schultern bedeckend, hing ein gestickter, ebenfalls weißer Latz wie ein mächtiges Pendel von den Brüsten, als sollte er zusätzlich zum Stoff diese weiblichen Attribute verdecken.
Irielle war mit sich zufrieden. Ihr inneres Gleichgewicht stimmte wieder.
Sie war voll und ganz mit sich zufrieden. Besonders deshalb, weil sie es geschafft hatte, all ihre Lieblinge mitzunehmen. Dieses neue Haus war ideal dafür. Sie hatte es noch mit der alten Einrichtung gemietet, und diese setzte sich aus Möbeln zusammen, die aus dem Biedermeier und der Zeit des Jugendstils
Weitere Kostenlose Bücher