Der Puppendoktor
zu holen. Ein Zeichen göttlichen Willens.
Nadja beeilte sich, weil Momo bald von seinem Mittagsschlaf aufwachen würde. Sie war nur schnell Zigarillos für den Großvater kaufen gegangen. Und er war da. Der große Polizist. Sonntags war er meist nicht da. Aber er war ohnehin verheiratet; sie hatte ihn am Strand mit seiner Frau und den beiden Kindern gesehen, ein kleiner, magerer blonder Junge und ein lustiges Mädchen. Er hatte neben ihr einen Kopfsprung gemacht, ohne sie wahrzunehmen. Ein guter Kopfsprung. Aber seine Badehose war wirklich grässlich!
Sie ging an den Bahngleisen entlang nach Hause. Das Geknatter des Mopedmotors riss sie aus ihren Träumereien.
Automatisch drehte sie sich um. Ach, der kleine Mann aus der Autowerkstatt, einer der Freunde des Polizisten. Das Moped beschleunigte plötzlich und überholte sie. Sie hatte den unbestimmten Eindruck, dass er ihr gefolgt war. Dass er ihren Weg absichtlich gekreuzt hatte. Sie mochte seine Augen nicht. Es waren heuchlerische Augen. Er erinnerte sie an ihren Onkel, der so fromm war und doch seine eigene Tochter vergewaltigt hatte. Der große Polizist hingegen … schien aufrichtig. Sie mochte sein etwas schüchternes Lächeln.
Nachdenklich betrat sie ihr Haus.
Die Nacht von Sonntag auf Montag war sehr ruhig. Marcel träumte, dass Madeleine versuchte, ihn mit dem Kopfkissen zu ersticken. Madeleine träumte, dass sie Marcel nackt mit einem dunkelhäutigen Mädchen im Bett überraschte. Nadja träumte, dass der Polizist sie in der Grünanlage umarmte. Jean-Jean träumte, die Grünanlage wäre voller Leichen, in deren Mitte der Mörder lachend masturbierte. Der kleine Mann masturbierte und träumte, er würde Jean-Jean bei lebendigem Leib zerstückeln.
Nadja beeilte sich, sie war zu spät dran und zog den widerspenstigen Momo mit. Sie putzte bei einer alten, halb gelähmten Dame und musste vorher Momo im Kinderzentrum absetzen. Momo träumte vor sich hin, blieb stehen, um ein Stück Papier oder einen Zweig einzusammeln . Er trödelte, er sah sich die Autos an, den Kerl mit dem Moped, der an der Straßenecke stand und seine Mutter anstarrte …
»Mama, will der Mann was von dir?«
»Welcher Mann? Nun komm schon, du regst mich auf!«
»Der Mann dort!«
Nadja drehte sich um, es war niemand da.
»Momo, ich bin spät dran!«
»Gestern war er unten vorm Haus, er will was von dir, will er dich heiraten?«
»Red keinen Unsinn!«
»Ich mag ihn nicht, er ist hässlich. Ich will nicht, dass du ihn heiratest!«
Sie hatten das Zentrum erreicht. Nadja umarmte Momo.
»Beeil dich! Bis heute Abend, mein Liebling, sei brav!«
Momo befreite sich aus Nadjas Armen und lief in die Vorhalle.
Nadja massierte sich die Stirn, als wollte sie ihre Sorgen vertreiben. Das Kind war anstrengend. Der Sommer war anstrengend.
Jean-Jean sah den schwitzenden Ramirez an. Ramirez legte Jean-Jean einen tadellosen Bericht vor und räusperte sich.
»Sagen Sie, Chef, ich habe da an etwas gedacht …«
»Ich höre«, erklärte Jean-Jean so salbungsvoll wie ein Bischof.
»Und warum könnte nicht der Typ aus dem Tierheim den Hund genommen haben? Ich meine, er hat sie ja zur Hand, braucht sie nicht zu stehlen, verstehen Sie?«
»Ich verstehe . Aber ein Hund, der im Tierheim landet, hat sich verirrt. Und Costello hat alle bekannten Chihuahua-Besitzer der Stadt befragt: Es wurde keiner vermisst.«
»Sein Herrchen könnte inzwischen gestorben sein. Oder er kommt aus einer anderen Stadt. Hunde legen manchmal mehrere Kilometer zurück.«
Jean-Jean überlegte einen Augenblick. Vielleicht hatte der Dickhäuter ja Recht. Er sagte:
»Gut, ich bitte die Kollegen, das ganze Departement zu überprüfen. Du überwachst mir diesen Martin. Ich will wissen, was er außerhalb seiner Arbeitszeit treibt. Mit wem er verkehrt. Es stimmt schon, man kann nie wissen.«
»Okay, Chef.«
Ramirez bewegte sich mit seinem schleppenden Schritt zur Tür, seine Jesuslatschen schleiften über die Fliesen. Jean-Jean rief ihn zurück, er war plötzlich wieder fröhlich:
»He, Ramirez! Das ist deine erste gute Idee in zwei Jahren! Dafür könntest du einen ausgeben!«
»Es war nicht meine Idee, Chef. Meine Tochter Emily hat daran gedacht. Aber ich kann trotzdem einen ausgeben. Ein Bier?«
»Ja, danke, ein Bier.«
Und vielen Dank an Emily, sagte sich Jean-Jean. Er begann, den Bericht zu lesen: »… Sperma eines Kaukasiers. Bei keiner Samenbank bekannt. In genetischer und biologischer Hinsicht nichts Auffälliges
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