Der Puppendoktor
nicht zu Hause, er ist nirgendwo, man muss ihn suchen.«
»Machen Sie sich keine Sorgen, wir kümmern uns darum. Ich begleite Sie zum Kinderzentrum. Wir gehen den Weg zusammen ab, einverstanden?«
Marcel schaltete sein Walkie-Talkie ein, um Bescheid zu geben, dass er sich auf die Suche nach einem verschwundenen Kind machte.
Er ging neben ihr und beobachtete sie aus den Augenwinkeln. Sie rang unablässig die Hände - lange schmale Hände. Sie weinte nicht, sagte kein Wort. Der Weg war ziemlich steil, doch sie hielt problemlos mit ihm Schritt. Die Leute sahen ihnen neugierig nach, ein Polizist und eine besorgte Frau . Anlass zu köstlichen Spekulationen.
Plötzlich blieb sie stehen.
»Normalerweise wartet er hier, hinter dem Gitter, auf mich. Der Hausmeister sagt, er hätte geschlafen und nichts gesehen. Momo ist ein lebhaftes Kind, er ist wahrscheinlich über den Zaun geklettert.«
Vor dem Zaun ein großes Stück umgegrabenes Land, hinter dem Freizeitzentrum eine Baustelle. Der künftige Spielplatz. Marcel sagte sich, dass das Kind vielleicht dort gespielt und sich verletzt hatte. Er ging langsam weiter. Oder vielleicht … nein, daran wollte er lieber nicht denken.
»Ich habe Angst wegen dieses Verrückten, der die Leute umbringt und zusammennäht.«
Sie hatte also auch daran gedacht.
»Seien Sie unbesorgt, wir werden ihn finden. Wie alt ist er denn?«
»Momo? Sechs Jahre. In einem Monat wird er sechs.«
Marcel sah sich suchend um. Dabei bemerkte er nicht einmal den Lieferwagen, der ein Stück die Straße hinauf parkte.
Der kleine Mann hatte sich auf seinem Sitz zusammengekauert. Er folgte ihnen mit den Augen. Noch fünf Minuten, und er hätte den Jungen gehabt. Wenn er nicht in diese große Blechröhre gekrochen wäre . Unmöglich, ihm zu folgen, der Durchmesser war zu klein. Also hatte er die beiden Ausgänge mit Zementsäcken versperrt. Ah, dieser kleine Idiot will nicht rauskommen? Dann soll er drin bleiben! Und jetzt die beiden anderen, die plötzlich aufgekreuzt sind. Er duckte sich noch etwas tiefer, für den Fall, dass Marcel den Lieferwagen entdecken würde.
Marcel rief:
»Momo! Momo!«
Es war so schwarz wie in einem tiefen Loch. Momo schwitzte unvorstellbar. Die Kehle brannte ihm vor Durst. Das Blech über ihm war so glühend heiß, dass er es nicht berühren konnte. Die Röhre hatte den ganzen Tag in der Sonne gelegen. Und auch jetzt waren es im Inneren bestimmt noch fünfundvierzig Grad. Er lag auf dem Bauch und rang nach Luft. Der widerliche Kerl hatte die Ausgänge mit seinen Säcken versperrt. Momo hatte geschoben und geschoben, aber sie waren zu schwer.
Er sah wieder das verzerrte Gesicht des über ihn gebeugten Mannes. Hörte seinen pfeifenden Atem. Er weinte ein bisschen, ein kurzes, trockenes Schluchzen. Er hatte das Gefühl, schon seit Stunden hier zu schmoren. Er hörte sein Herz, das laut, so laut schlug. Er dachte: Maman, Maman. Nichts anderes. Nur Maman, Maman. Quälend.
Eine Stimme. Eine Männerstimme rief ihn. Ganz in der Nähe. Fast hätte er geantwortet. Er hielt sich zurück. Und wenn es nun der Mann wäre? Trotz der Hitze wurde er von einem Zittern geschüttelt, das er nicht unterdrücken konnte. Er biss die Zähne zusammen, um nicht mehr zu weinen. Die Stimme entfernte sich. Momo lauschte angespannt.
Und plötzlich - er glaubte, sein Herz bliebe stehen - hörte er die Stimme seiner Mutter. Weit entfernt. Gedämpft. Aber sie war da. Jetzt ganz nah. Momo richtete sich auf, stieß sich dabei den Kopf an dem Blech, ohne es zu bemerken, und schrie:
»Maman, ich bin hier, Maman!«
Niemand kam, niemand antwortete. Sie hörte ihn nicht, sie war zu weit weg! Momo verdrehte entsetzt die Augen. Sie würden weggehen, sie würden ihn hier lassen … Eine Idee. Schnell, eine Idee! Er zog seinen Schuh aus und begann gegen die Röhre zu schlagen, eins, zwei, drei … eins, zwei, drei, Maman, Maman!
Marcel hielt inne. Ein Geräusch zu seiner Rechten. Eine Ratte? Nein, ein regelmäßiger Ton. Der Wind? Und wenn der Junge da war, wenn er verletzt war? Die Dämmerung nahm zu. Die Sonne war untergegangen. Marcel blickte sich um. Doch er sah nichts. Nadja suchte etwas weiter weg den Bauschutt ab.
Das Geräusch wurde schwächer. Schwoll wieder an. Marcel folgte ihm. Es kam näher: Eins, zwei, drei . Eins, zwei, drei . Jemand hämmerte regelmäßig gegen etwas. Marcel legte die Hände wie ein Sprachrohr an den Mund:
»Momo, warte, wir kommen! Momo, wo bist du?«
Stille. Dann ein
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