Der Puppendoktor
Setzte sich dann schmerzhaft wieder in Gang.
Das eine Auge, das der Kopf noch hatte, starrte ihn im Rückspiegel an. Die Pistole in der Hand, sprang Jean-Jean aus dem Wagen und riss die hintere Tür auf.
Ein sitzender Körper. Ein Kinderkörper mit roten Plastiksandalen, besser gesagt, mit einer Sandale. Der Kopf, ein riesiger, ausgehöhlter Kopf, kippte zur Seite. In der starren Hand hielt das Mädchen einen verwelkten Blumenstrauß. Rosen, die einen fauligen Duft verströmten. Und das Ganze war mit einem breiten, goldenen Band umwickelt wie ein Geschenkpaket. An dem Blumenstrauß hing eine kleine Karte. Jean-Jean zögerte, beugte sich vorsichtig vor, um den Körper nicht zu berühren. Er las: Herzlichen Glückwunsch, Capitaine und zuckte zurück, als hätte ihn etwas gebissen.
Ohne etwas anzufassen, ging Jean-Jean um das Auto herum und sah sich die vier Türen an. Keines der Schlösser war aufgebrochen. Er kratzte sich an der Nase, atmete tief durch. Er kratzte sich im Schritt, atmete wieder tief durch und stieg, die Waffe in der Hand und von Übelkeit geplagt, zu Fuß die drei Stockwerke bis zur Pförtnerloge hinauf.
Pflichtbewusst beobachtete Marcel. Er beobachtete rechts, er beobachtete links, oben und unten, fast fielen ihm die Augen aus dem Kopf, so sehr beobachtete er die lärmende Menge. Ein Defile behaarter Beine, wogender Busen, verbrannter Arme, sich schälender Nasen, schmutziger Sandalen, scharlachroter Schenkel. Paulo kam vorbei, beladen mit den verschiedensten Autoreparaturteilen.
»Du scheinst ja heute todernst, Marcel, man könnte meinen, ein Zuave von der Pont d'Alma!«
»Ich komme um vor Hitze, und ich habe die Nase voll«, antwortete Marcel und ließ seine Gelenke knacken.
Paulo ging weiter. Vor Jackys Laden standen die Leute Schlange. Die Postkarten mit den nackten Mädchen verkauften sich wie warme Semmeln. Japaner, vom französischen Humor erheiterte. Jetzt kam Ben, eine Bierdose in der Hand, aus der Werkstatt.
»Ich biete dir lieber nichts zu trinken an, du bist ja im Dienst.«
»Und du, arbeitest du nicht?«
»Ich mache meine Pause. Hast du das kahl geschorene Mädchen da gesehen? Sie hat gerade was aus der Tasche der Omi in Blau geklaut!«
»Hör auf mit dem Quatsch.«
»Doch, ich schwöre es dir. Schnell, pfeif!«
»Ich bin nicht zum Scherzen aufgelegt.«
»Oh! Was spielst du denn für'n Theater? Die Grablegung Christi? Na dann, ciao.«
Der zusammengenähte Körper lag auf dem weißen Marmortisch. Doc 51 beugte sich darüber. Er entnahm verschiedene Proben, die er für Alfred und seine Kollegen vom Labor in Plastikbeutel verstaute. Er sagte sich, dass es sich zu 99 Prozent um »fehlende Teile« der Leiche handelte, die die Matrosen am Strand entdeckt hatten, trällerte falsch vor sich hin und führte sein Skalpell mit chronisch zitternder Hand. Routine, Routine. Ganz gleich, wie das Mörderprofil sein mochte, seine Arbeit veränderte sich nie. Das Auge war mit einer Rasierklinge herausgeschnitten, der rechte Fuß von einem menschlichen Gebiss abgerissen worden. Auf dem Unterleib waren Spuren von Sperma zu sehen. Keine Penetration. Das Telefon klingelte. Doc 51 hob ab.
»Ja bitte«, brüllte er in den Hörer, den er zwischen Schulter und Ohr eingeklemmt hatte, während er einen Schnitt an Juliettes Brustbein vornahm.
»Vergiss nicht, auf dem Nachhauseweg den Braten abzuholen«, rief seine Frau.
»Ja, Liebling, kein Problem«, antwortete er, schnitt das Herz des Mädchens heraus und warf es in eine Emailleschüssel.
KAPITEL 5
Wieder ein Sonntag. Marcel hatte Dienst. Die Möwen kreisten schreiend am Himmel. Ein Gewitter zog auf. Auf der Terrasse des Cafes verschlang ein Kind ein sahnetropfendes Eis. Marcel hasste Sahne. Er wünschte sich mit aller Kraft, das Kind würde Bauchschmerzen bekommen. Er war wütend auf alle, wegen ihrer Unbeschwertheit, ihrer Lebensfreude, ihrer UrlauberSorglosigkeit; er warf ihnen vor, dass sie frei hatten und er für sie verantwortlich war.
Jemand näherte sich. Er drehte sich um: Es war sie! Nadja ging an ihm vorbei und schielte aus den Augenwinkeln zu ihm herüber, sein Blick folgte ihr, sie ging in den Tabakladen. Lautes Gehupe, Lärm von zersplitterndem Glas.
An seine Pflicht erinnert, fuhr Marcel zusammen: Ein dicker Belgier war einem wortreichen Italiener hintendrauf gefahren. Verwünschungen und Flüche. Nadja verließ die Bar, ohne dass er sie gesehen hätte, der kleine Mann folgte ihr.
Reiner Zufall: Er war gekommen, um Zigaretten
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