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Der Puppengräber

Der Puppengräber

Titel: Der Puppengräber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hammesfahr
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kleinsten Anfängen hatte hocharbeiten müssen. Mit ein paar Nägeln und Schrauben hatte er in der kleinen Eisenwarenhandlung begonnen, die ihm von seinem Vater vererbt worden war. Wilmrod kehrte nicht bei jeder Gelegenheit den Chef heraus, wie andere das taten.
    Mit dem Prokuristen trank er oft nach Feierabend noch ein Bier. Aber das war etwas anderes, fand Jakob. Vermutlich hatte Wilmrod nie daran gedacht, eines Tages mit seinem Lagerarbeiter das Hochzeitsmahl seiner einzigen Tochter einzunehmen.
    Für Jakob war es fast, als wolle er sich anbiedern. Er saß während der Messe mit gesenktem Kopf neben Ben und bemerkte nicht, was vorging. An Bens rechter Seite saß Trude und hielt eine Hand auf seinem Bein, weil er so unruhig zappelte. Still in einer Kirchenbank zu sitzen war nicht seine Sache.
    Der neue Pfarrer redete ziemlich lange und langsam, unterstrich seine Worte mit Gesten, ließ die Messdiener das Weihrauchfässchen schwenken, sodass der halbe Altar vernebelt wurde. Sogar die Braut rutschte unruhig auf dem Polsterbänkchen herum. Auch mit der Feierlichkeit konnte man es übertreiben.
    Aber dann bemerkte Trude, dass es nicht die ausufernde Zeremonie war, die Ben zappeln ließ. Sie saßen in einer der letzten Bänke im linken Kirchenschiff. Zwei Bänke vor ihnen saßen Erich und Maria Jensen mit ihrer Tochter Marlene. Ben schaute nicht zum Altar, konnte den auch gar nicht sehen, weil ihm eine dicke Säule den Blick versperrte. Er blickte nur auf den zierlichen Rücken zwei Bänke vor ihnen, auf das von Maria sorgfältig frisierte Haar, das in blonden Locken um Marlenes Schulter wogte.
    Wenn das junge Mädchen gelangweilt den Kopf zur Seite drehte, schaute Ben auch auf das Profil. Und jedes Mal quälte sich ein langer Seufzer durch seinen mächtigen Brustkasten zu Trudes Ohren. Sie beugte sich zu ihm und flüsterte: «Jetzt sei still, es ist gleich vorbei. Dann gibt es einen leckeren Nachtisch.»
    Und Ben flüsterte, ohne den Blick von den zarten Konturen zu lösen: «Fein.»
    Trude begriff rasch, wen er meinte. Auch sie stutzte und fühlte sich erinnert an den grazilen Körper, der über ihren Köpfen durch die Luft schwang. Sie sah das hübsche Gesicht der jungen Artistin noch einmal deutlichvor sich, wie sie zu Ben kam, sich für den donnernden Applaus bedankte, wie sie ihn mit in die Manege nahm, ihn später auf beide Wangen küsste. Trude schüttelte die Erinnerung ab, es war so lange her, fünfzehn Jahre.
    Dass es in seinem Kopf keine Zeit gab, nur jetzt und vorbei, dass auch vorbei immer präsent war, als sei es vor einer Stunde gewesen, wusste Trude nicht. Für sie war Marlene Jensen ein bildschönes junges Mädchen mit einer verblüffenden Ähnlichkeit. Und er war ein junger Mann, wurde bald zweiundzwanzig und hatte – wie Jakob es einmal treffend ausdrückte – vielleicht mehr Gefühl als seine Eltern, konnte es nur leider nicht so steuern wie andere.
    Es war der Augenblick, vor dem Trude sich seit langem fürchtete. Dass er sein Herz entdeckte. Sie setzte all ihre Hoffnung auf die Kinder, die ihn normalerweise immer auf andere Gedanken brachten.
    Kurz nach elf war der Bund endlich geschlossen. Andreas Lässler führte seine junge Frau auf das Portal zu. Eltern und Gäste folgten langsam. Draußen stand eine Kutsche mit vier Schimmeln davor. Festlich geschmückt, herausgeputzt mit Girlanden und Federbüschen am Zaumzeug. Niemand dachte dabei an die verstaubten Decken und die bunten Plakate, mit denen der Zirkus für sich geworben hatte. Nur Ben sah das noch deutlich in dem hellen Raum, der sein Gedächtnis war. Und hätte sich einmal jemand die Mühe gemacht, mit einer Lupe zu betrachten, was er in Kartoffelschalen ritzte, niemand hätte ihn mehr einen Idioten schimpfen dürfen. Mit bloßem Auge war aus den wirren Mustern kein Bild zu erkennen, dafür versuchte er, zu viel auf einer Schale unterzubringen.
    Marlene Jensen ging zu den Pferden, tätschelte einem Tier den Hals. Und er machte einen Satz, als wolle erin einen nicht vorhandenen Sattel steigen. Mit beiden Händen griff er dem Tier in die Mähne. Trude hatte Mühe, seine Finger daraus zu lösen. Dann stieg Marlene mit ihren Eltern in einen Wagen. Und er rannte so eilig hinterher, dass Jakob und Trude kaum Schritt halten konnten.
    Sie hatten das Auto nicht genommen, weil er nicht in den Mercedes stieg. Bei Paul und Antonia machte er keine Probleme. Sie fuhren einen Kombi. Aber Trude war noch nie der Gedanke gekommen, dass es etwas mit dem

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