Der Puppengräber
Tisch.
Brittas lachendes Mädchengesicht schaute Trude an. So jung noch und so unschuldig. Da reagierte sie endlich. «Darf ich ihm wenigstens ein Frühstück bringen?», fragte sie. «Er hat gestern gar nichts bekommen.»
Gewimmert hatte er die Nacht hindurch, manchmal zaghaft gegen die Tür gepocht, ein paarmal gerufen: «Freund» und «Finger weg» und «fein macht». Was bedeuten mochte, dass er es gut mit allen meinte, dass er wusste, was ihm verboten war, dass er sich doch nur bemüht hatte, das Richtige zu tun. Aber es konnte auch ganz etwas anderes heißen. Trude hatte ihn gehört, aber nichts für ihn tun können.
«Meinetwegen», sagte Jakob. «Aber lass ihn nicht raus.»
Er legte den Schlüssel auf den Tisch, faltete die Zeitung zusammen und klemmte sie sich unter den Arm. Während er zur Tür ging, erklärte er: «Ich bin kurz nach Mittag wieder da. Dann zeig ich ihm das Foto. Mal sehen, was passiert.»
Trude blieb am Tisch sitzen, hörte den Dieselmotor brummen, das Geräusch entfernte sich rasch. Als es verklang, stieg aus der Dunkelheit im Innern eine Flamme auf. Sie fraß sich so rasend schnell durch Trudes Adern ins Hirn, dass alles in der Hitze erstickte.Nicht einmal Furcht blieb übrig, nur heiße, trockene, staubige Ruhe.
Trude ging zur Scheune, stieg auf ihr Rad und verriegelte das Scheunentor hinter sich, damit niemand während ihrer Abwesenheit über Brittas Rad stolperte. Dann fuhr sie ins Dorf. Am Anfang der Bachstraße gab es einen kleinen Kiosk. Dort erstand sie ein zweites Exemplar der Tageszeitung, fuhr zurück und saß wieder am Küchentisch, betrachtete das lachende Mädchengesicht auf der ersten Seite, erfüllt von der Ruhe, die sich während der Fahrt abgekühlt hatte und nun einem großen Eisblock glich.
Nachdem sie sich Brittas Gesicht eine halbe Stunde lang angeschaut hatte, ohne das Geringste zu empfinden, machte sie für Ben ein kräftiges Frühstück. Zusammen mit dem Teller trug sie die Zeitung hinauf.
Er lag auf dem Bett und schlief. Das Geräusch des Schlüssels weckte ihn. Als Trude eintrat – mit einem Lächeln auf dem Gesicht und dem Essen in der Hand –, lächelte er auch. Er richtete sich auf und griff hastig nach dem ersten Brot.
Trude setzte sich zu ihm auf die Bettkante, die Zeitung hielt sie unter dem Arm. Der Teller war rasch leer. Sie strich ihm das Haar aus der Stirn und murmelte: «Du armer Kerl. Sicher hast du auch Durst.»
Dann nahm sie ihn mit hinunter in die Küche, obwohl Jakob es strikt verboten hatte. Aber Jakob zählte nicht mehr. Es ging nur noch um sie und um ihn, um eine Frau und um das, was ihr Leib in die Welt gespuckt hatte. Es mochte nicht gut sein, aber es war auch nicht böse. Niemand hatte das Recht, es zu töten, auch nicht der eigene Vater.
Er kippte zwei Becher Milch hinunter und wollte anschließend zur Tür. «Nein, nein», sagte Trude rasch.
Er blieb stehen.
«Gleich», sagte sie. «Gleich darfst du raus. Komm erst einmal her und pass auf. Pass gut auf, was ich sage.»
Er kam zurück zum Tisch und schaute sie aufmerksam an. Sie tippte mit dem Finger auf das Mädchengesicht. «Das ist Britta», sagte Trude bedächtig. «Wir alle mögen Britta sehr gern. Ich hab immer gedacht, du magst sie auch sehr gerne. Wenn du ihr weh gemacht hast, warst du nicht lieb. Hast du ihr weh gemacht?»
«Freund», sagte er.
«Ja», sagte Trude, «du bist ihr Freund. Und du bist auch Antonias Freund, nicht wahr? Du hast Antonia doch lieb?»
«Fein», sagte er.
«Ja», sagte Trude. «Antonia ist fein. Aber jetzt ist Antonia traurig und weint, weil Britta weg ist. Wenn Britta nicht zurückkommt, muss ich auch weinen. Willst du, dass ich weine?»
Er schüttelte den Kopf, als habe er jedes Wort verstanden. Trude atmete tief durch, mobilisierte damit die letzten noch unter staubiger Ruhe schlummernden Kräfte und fuhr fort: «Es haben schon viele Leute nach Britta gesucht und sie nicht gefunden. Aber du findest doch immer die schönen Sachen. Du hast mir schon viel gebracht, eine Tasche und eine Jacke und Brittas Rad. Das hast du fein gemacht. Da freue ich mich immer, wenn du mir etwas Feines bringst. Und jetzt bringst du mir Britta, ja?»
Ihr Finger tippte unentwegt auf das Mädchengesicht in der Zeitung. «Du bist doch mein guter Ben, du bist mein Bester. Du kriegst ein großes Eis, wenn du sie zu mir bringst. Aber du musst dich beeilen und aufpassen, dass dich keiner sieht.»
Es war niemand in unmittelbarer Nähe, der ihn hättesehen
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