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Der Puppengräber

Der Puppengräber

Titel: Der Puppengräber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hammesfahr
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Kartoffelstücken in bizarren Formen, den gerollten und längst vertrockneten Blättern des Großen Wegerichs und einem Fetzen Stoff, dessen Farbe ursprünglich ein helles Blau gewesen sein mochte, jetzt war vor lauter Dreck kaum noch etwas von der Farbe zu erkennen.
    Der Schimmel wuchs fast am Deckel hinaus. Der Deckel war nur lose aufgelegt. Von dem Glas ging ein widerlich süßer Geruch aus. Jakob verzog angeekelt das Gesicht, als er in einem der gerollten Wegerichblätter den halbverwesten Kadaver einer Feldmaus entdeckte.
    «Nein», sagte er, «das nicht. Ich will das andere Glas.» Um deutlich zu machen, was er meinte, klemmte er sich das Einweckglas unter den Arm, bog beide Daumen und Zeigefinger zu je einem Ring und hielt sie sich vor die Augen.
    Ben begriff, rannte zum Bett, nahm eine große Stoffpuppe auf, tastete unter das Kissen und brachte das Fernglas zum Vorschein. Jakob nahm es ihm aus der Hand und trat ans Fenster. Es ging nach Südosten, gab den Blick frei auf die ausgedehnten Felder mit Zuckerrüben, Kartoffeln und Roggen. Dahinter lag der Bruch. Das Gelände fiel an der Stelle merklich ab.
    Im März 45, praktisch in den letzten Kriegswochen, waren dort noch ein paar Bomben niedergegangen. Vorher hatte an der Stelle der Kreßmann-Hof gestanden. Ein stattliches Anwesen, zu der Zeit das Einzige im freien Feld. Um die zwanzig Leute hatte Richards Vater beschäftigt. Doch an dem Abend, als die Bomben fielen, waren alle in Ruhpolds Schenke bei einer Versammlung gewesen. Sogar Igor, den russischen Zwangsarbeiter, der damals noch kaum ein Wort Deutsch verstand, hatten sie mitgenommen und zum Glück auch den fünfjährigen Richard.
    Nur eine alte und fast taube Magd blieb auf dem Hof zurück, um nach der Kuh zu schauen, die in der Nacht kalben sollte. Und während alle einem energischen Vortrag von Wilhelm Ahlsen lauschten, der die Bevölkerung zu einer letzten Mobilmachung der allerletzten Kräfte aufrief, ließ die alte Magd trotz Fliegeralarm die Hoflampe brennen. Sabotage, wetterte Wilhelm Ahlsen später. Taubheit, sagten ein paar andere. Wie auch immer, es ging alles in Trümmer und wurde an der Stelle nie wieder aufgebaut.
    Es war ein abenteuerlich geheimnisvoller Platz. Gerta Franken hatte früher erzählt, dort ginge die alte Magd um, Nacht für Nacht, um die Hoflampe auszuknipsen. Aber Gerta Franken hatte zu ihren Lebzeiten viel Unsinn erzählt. Jetzt hielten sich dort andere auf.
    Direkt an der Kante standen einige Personenwagen,dabei etliche Männer in Zivilkleidung, einer hielt ein Megaphon. Jakob vermutete, dass es sich um Kriminalbeamte handelte, aber er irrte sich. Es waren Angehörige der freiwilligen Feuerwehr.
    Das Einweckglas unter den linken Arm geklemmt, hob Jakob das Fernglas mit der rechten Hand an die Augen und sah nun deutlicher einige Männer in die Senke hinabsteigen, Hunde hatten sie nicht dabei. Minutenlang schaute er zu, wie sie zwischen Nesseln und Disteln über die Kante nach unten verschwanden. Als er sich wieder zu Ben umdrehte, fühlte er sich alt und lahm.
    Zwei Zentner Verantwortung, vermutlich mehr. Auf eine Waage stellen ließ sein Sohn sich nicht. Ben war nicht fett, im Gegenteil, durchtrainiert war er von seiner Lauferei und der Schufterei im Freien, sein Körper hätte es mit dem eines Kraftsportlers aufnehmen können. Sanft wie ein Lamm, sagte Trude oft. Und Jakob hatte noch nie mit eigenen Augen gesehen, dass Ben irgendeiner Kreatur in böser Absicht etwas angetan hatte. Aber bei seiner Kraft musste es nicht böse Absicht sein, das bewiesen unzählige Küken, die in seinen Fäusten krepiert waren.
    Jakob verließ den Raum und drehte den Schlüssel um, der von außen in der Tür steckte. Er ging zurück ins Schlafzimmer und stellte das Einweckglas mit dem widerlichen Inhalt auf der Kommode ab. Trude stand noch am Fenster, starrte mit versteinerter Miene ins grelle Sonnenlicht, als ob der Leibhaftige persönlich in dem Geflimmer sein Unwesen trieb.
    «Im Bruch suchen sie auch», sagte Jakob mit belegter Stimme. «Ich hab ihn eingeschlossen. Besser, er geht heute nicht raus. Er muss denen nicht unbedingt vor die Füße laufen.» Er rechnete fest mit lautstarkem Protest. Aber Trude nickte nur.
    «Er hatte wieder ein Messer», sagte Jakob mit leichtemVorwurf, zog das Messer aus dem Gürtel und warf es aufs Bett.
    Trude schaute sich nur kurz danach um. «Das muss er draußen gefunden haben», erklärte sie. «Von uns ist es nicht. Ich hab sie alle gut

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