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Der Puppengräber

Der Puppengräber

Titel: Der Puppengräber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hammesfahr
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weggeschlossen.»

LEHRZEIT
    Jakob hatte damals von den Küken erfahren. Und für jedes zerquetschte Federknäuel verabreichte er Ben eine Tracht Prügel. Vor dem Besuch beim Professor hatte Trude dabeigestanden und sich schuldig gefühlt. Weil sie Ben mit in den Hühnerstall genommen, weil sie nicht auf die vereiste Stufe vor der Küchentür geachtet, weil sie ihn geboren hatte. Sie hatte die Augen zusammengekniffen, das Herz wie einen Bleiklumpen in der Brust gefühlt und im Hirn das Wissen, dass er den Respekt vor anderen Lebewesen irgendwie lernen musste.
    Doch alles, was er lernte, war Angst vor Jakob. Er erkannte den Zusammenhang nicht, wenn er morgens ein Küken zerdrückt hatte und abends geschlagen wurde, wo er vor einem gefüllten Teller am Tisch saß und nur mit den Beinen zappelte, während Trude ihn fütterte. Manchmal lag er auch schon im Bett, und Jakob riss ihn wieder heraus. Es kam so weit, dass er zu wimmern begann und sich unter dem Tisch oder in einer Ecke verkroch, wenn Jakob in der Tür auftauchte.
    Der Besuch beim Professor veränderte vieles, Trudes Ansichten, Einstellungen, ihr gesamtes Verhalten. Das beginnende Frühjahr half ihr. Jakob war draußen und sah nicht, was tagsüber im Haus, im Hof, in den Ställen, der Scheune oder im Garten vorging. Wenn er abendsfragte, sagte Trude: «Heute war er wirklich sehr lieb. Er hat überhaupt nichts angestellt, hat nur herumgesessen. Ich hab mich schon gefragt, ob er krank wird.»
    Er war ein wildes Kind, kaum zu bändigen. Von Krankheiten war er weit entfernt, nicht mal einen faulen Zahn bekam er, trotz all der Süßigkeiten. Von morgens bis abends tobte er durchs Haus oder über den Hof, vollführte Luftsprünge, schwang die Arme und stieß seine Schreie aus. Oft kamen Trude die Worte in den Sinn, die Gerta Franken über die kleine Christa von Burg gesagt hatte: gehüpft und gejauchzt vor Lebensfreude. Vielleicht war es nur das. Und vielleicht war es nur das Bedürfnis nach Zärtlichkeit, wenn er sich mit einem Küken das Gesicht abrieb.
    Als das nächste Tierchen in seiner Faust verreckte, warf Trude den Kadaver nicht in den Mülleimer, wo Jakob ihn hätte finden können, sie verbrannte ihn im Küchenherd. Dann ging sie in die Scheune, wo ein paar Katzen hausten. Sie suchte ein Kätzchen aus, führte seine Hand über das Fell und zeigte ihm, wie er es am Nacken oder im Arm tragen sollte. Wenn er denn gerne ein Tier haben wollte   … Ein Kätzchen war robuster und konnte sich zur Not auch wehren.
    Zwei Tage trug er es am Nackenfell oder im Arm mit sich herum, drückte sein Gesicht in das Fell, ließ es im Hof laufen, fing es wieder ein, bevor es sich in der Scheune verkriechen konnte. Nachts nahm er es sogar mit ins Bett. Trude sah es nicht gerne, aber sie duldete es. Ein paarmal wurde er gekratzt und gebissen, das schien ihn eher zu verwundern als zu stören. Am dritten Tag erwischte sie ihn dabei, wie er das Tierchen in der Regentonne ersäufte.
    Aber vielleicht, sagte sie sich, hatte er es nur baden wollen. Er selbst badete gerne und matschte auch mitAusdauer in der gefüllten Tonne. Sie gab ihm einen Klaps auf die Finger, drückte sein Gesicht für zwei Sekunden ins Wasser. Als er sich schüttelte und nach Luft japste, sagte sie: «Siehst du, so ist das, wenn man mit dem Kopf ins Wasser gedrückt wird. Es ist nicht fein.»
    Sie fischte das Kätzchen aus der Brühe, und als er zögernd die Hand danach ausstreckte, sagte sie: «Nein, du kannst es nicht mehr haben. Du hast es totgemacht, jetzt müssen wir es verbrennen. Und ein neues bekommst du nicht.»
    Dass er alles verstand, glaubte sie nicht. Als er kurz darauf die Herdklappe öffnen wollte und sie ihm ein scharfes «Finger weg!» zurief, weil sie fürchtete, dass er sich an der heißen Klappe verbrannte, zog er die Hand zurück, ging hinaus und drehte mit betrübter Miene ein paar Runden über den Hof.
    Am nächsten Tag versuchte er, sich in der Scheune einen Ersatz für das ertränkte Kätzchen zu besorgen. Ein paar Minuten später kam er schreiend und um sich schlagend zu Trude in die Küche gestürzt, eine Katze im Genick, die sich regelrecht in ihn verbissen hatte. Da sagte er es zum ersten Mal selbst. «Finger weg!» Das verstand er also.
    Und Trude lernte, ihn zu verstehen und mit ihm umzugehen. Bösartig, fand sie, war er nicht, nur unberechenbar und impulsiv. Ohne Aufsicht konnte sie ihn nicht fünf Minuten lassen. Es war immer damit zu rechnen, dass er im nächsten Moment etwas

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