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Der Puppengräber

Der Puppengräber

Titel: Der Puppengräber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hammesfahr
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laden. Anschließend schlenderten sie noch einmal über den erleuchteten Festplatz, ein bisschen frische Luft schnappen nach dem Bierdunst im Zelt. Das Karussell und die Raupe hatten bereits geschlossen. Nur die Buden waren noch auf.
    Für zehn Mark Lose.
    «Bist du verrückt geworden?», sagte Trude mit einer Stimme, in der sich die freudige Erwartung bereits deutlich ausdrückte. Eine Niete nach der anderen. Die weißen Papierfetzen wie Schneeflocken um die Füße verteilt. Dann der Hauptgewinn. Und Trude tanzte auf der Stelle. «Ich glaub es nicht! Ich glaub es nicht!»
    Die Puppe kam auf das Bett, wurde zwischen die Paradekissen gesetzt. Manchmal musste das Kleid gewaschen werden, weil es leicht einstaubte. Trude wusch es immer vorsichtig mit den Händen, drückte es nur ein wenig in der Lauge, bügelte es dann sorgfältig auf und zog es der Puppe wieder an.
    Sehr enttäuscht war sie gewesen, als sie der Puppe das Kleid zum ersten Mal ausgezogen hatte. «Nun sieh dir das an!» Ein anklagend ausgestreckter Finger. Die nackte Puppe auf dem Bett, Kopf, Arme und Beine aus Porzellan, aber der Leib war nur ein mit Sägemehl gefüllter Sack. Davon sah man nichts, wenn sie das Spitzenkleid trug.
    Jahrelang saß sie zwischen den Kissen. Und von einem Tag auf den anderen verschwand sie. Ben war sieben Jahre alt gewesen. Tagelang sprach Trude mit Engelszungen auf ihn ein. «Wo hast du sie versteckt? Wenn du sie kaputt gemacht hast, vielleicht kann ich sie flicken. Wenn du mir sagst, wo sie ist, bekommst du ein Eis.»
    Damals konnte man ihn mit Vanilleeis noch in die Hölle locken. Aber es war vergebens. Es war nie wieder ein Fetzen des Spitzenkleides oder ein Porzellansplitter aufgetaucht. Und jetzt suchten sie draußen nach der einzigen Tochter des Apothekers.
     
    Jakob gab sich einen Ruck, es war kaum der richtige Moment, an eine alte Puppe zu denken. Ärgerlich, dasssie ihm ausgerechnet jetzt in den Sinn kam, stampfte er aus dem Schlafzimmer zur Tür schräg gegenüber. Dahinter lag Bens Zimmer.
    Er war um sechs in der Früh heimgekommen. Jakob hatte ihn im Halbschlaf gehört; nicht wie er ins Haus kam, nur das Rumoren in seinem Zimmer, als er seine unverständlichen Rituale vollzog, die Schätze versteckte, die er regelmäßig von seinen Streifzügen mitbrachte. Er lieferte längst nicht alles ab, was er draußen fand.
    Jakob rechnete damit, ihn schlafend auf dem Bett zu finden, aber er saß auf dem Boden. Zwischen seinen Beinen lagen ein paar Kartoffeln, in deren Schalen irgendein Muster geritzt war. Die rechte Hand steckte Ben auf den Rücken, kaum dass die Tür aufging. Er hob den Kopf, schaute Jakob ins Gesicht und blinzelte wie eine Katze, die um Freundschaft bettelt.
    Jakob bemerkte die Hand auf dem Rücken und streckte seine auffordernd aus. «Was hast du da? Lass mich sehen!»
    Ben brachte den Arm nach vorne, senkte den Kopf wieder und duckte sich ein wenig, während Jakob ihm das Messer aus der Hand nahm. Es war eins von den kleinen aus der Küche, die Trude zum Kartoffelschälen benutzte. Trude vermisste es seit gut einer Woche, das wusste Jakob nicht. Er wusste vieles nicht, und das wusste er genau.
    Er hätte ihn jetzt schelten müssen. Nur hatte er ihn zu oft gescholten und geschlagen, und viel zu oft zu Unrecht. Aus Hilflosigkeit und Zorn, weil er keinen anderen Weg gesehen hatte, sich ihm verständlich zu machen. Weil er viel zu spät erkannt hatte, dass ein gutes Wort eher zum Ziel führte.
    Als er das endlich begriff, hatten seine guten Worte für Ben nur noch den halben Wert. Er gehorchte ihm – fastimmer. Aber Gehorsam hatte mit Liebe nichts zu tun und nichts mit Vertrauen. Bens Vertrauen und seine Liebe gehörten anderen.
    Jakob steckte das Messer seitlich unter den Gürtel, schaute sich im Zimmer um, konnte jedoch das Fernglas nicht entdecken. «Das Glas», sagte er.
    Ben kam erstaunlich rasch auf die Beine. Jakob wunderte sich immer wieder, wie flink er trotz seines massigen Körpers war. Dann stand er mit eingezogenem Kopf mitten im Zimmer, die Stirn in Falten gezogen.
    «Das Glas», wiederholte Jakob. «Wo hast du es hingelegt?»
    Ben ging zögernd zum Schrank, riss die Türen auf und kramte zwischen der Wäsche. Mit beiden Händen wühlte er sich durch die Stapel von Hemden, Socken und Unterhosen. Schließlich zog er aus dem hintersten Winkel ein Glas hervor und hielt es Jakob widerstrebend hin.
    Es war eins von Trudes Einweckgläsern, gefüllt mit schwärzlich verfaulten und schimmelnden

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