Der Puppengräber
zweimal der Rosenkranz und drei «Gegrüßet seist du, Maria». Das musste es sein.
Weil im anderen Fall … Hatte Heinz Lukka sich vielleicht nur für einen ganz bestimmten Zweck mit Schokoladenriegeln und Freundlichkeit in Bens Herz gekauft. Hatte ihn nur aus einem Grund gegen alle Verdächtigungen verteidigt und dafür gesorgt, dass er daheim bleiben durfte. Weil Heinz Lukka, wenn er sich nicht umhundertachtzig Grad gedreht hatte, in der heutigen Zeit sonst keinen gefunden hätte, dem er solche Befehle geben konnte.
Es kam wie ein Vorschlaghammer über Trude. Weil Heinz Lukka sich vielleicht – wie sein Vater – selbst die Finger nicht gerne schmutzig machte, aber mit Begeisterung zuschaute. Und am Ende hatte sie ihn erst auf diesen Gedanken gebracht, als sie ihm von Hildes Katze erzählte.
Eine blutverschmierte Handtasche! Zwei abgeschlagene Finger! Und Heinz Lukka sagte: «Das hast du fein gemacht, Ben. Jetzt musst du es schön vergraben.»
Himmel, steh uns bei, dachte Trude. Das nicht! So etwas kann doch kein Mann tun, sich einen Mörder abrichten. Und da war ein Strohhalm, der dem Ungeheuerlichen die Spitze abbrach.
«Heinz hat auch für dich was getan», sagte sie zu Jakob. «Er hat dir die Arbeit im Baumarkt verschafft.»
Jakobs Grinsen erlosch mit einem Achselzucken. «Aber ich darf trotzdem sagen, was ich denke.»
«Natürlich», meinte Trude und horchte mit einem Ohr zur Treppe. Sie hatte, bevor Jakob heimkam, länger als eine Stunde auf Ben eingeredet. Dass er im Haus bleiben müsse. Dass er ein großes Eis und einen Kuchen bekomme, wenn er daheim bliebe. Dass sie viel weh habe, dass ihr furchtbar bange sei, wenn er wegginge. Und das wolle er doch sicher nicht. Er sei doch ihr guter Ben, ihr Bester. Es schien funktioniert zu haben. Eigentlich hätte er noch baden müssen, aber dann musste er eben morgen in die Wanne.
Kurz vor elf ging sie gefolgt von Jakob hinauf. Sie warf noch einen Blick in Bens Zimmer. Er lag auf dem Bett, hielt seine Stoffpuppe im Arm und rührte sich nicht, als sie kurz das Licht aufflammen ließ. Trude nahm an, dasser fest schlief, und schloss, ein wenig beruhigt, aber keinesfalls erleichtert, die Tür wieder.
Im Schlafzimmer erzählte Jakob weiter. Obwohl er rechtschaffen müde war und sich Dieter Kleu für den nächsten Tag hatte aufheben wollen, umriss er knapp, was er in Ruhpolds Schenke über Brunos Sohn gehört, warum Wolfgang Ruhpold ihn überhaupt gebeten hatte, die zweite Edith Stern mitzunehmen.
Trude antwortete kaum. Wenn sie etwas sagte, bezog es sich auf Heinz Lukka und war so konfus, dass Jakob nicht verstand, was sie ihm sagen wollte. Aber eins begriff er, dass er mit seinen Rachegelüsten einen Schritt zu weit gegangen war. Dass Trude derart kleinlaut und einsilbig wurde, hatte er nicht gewollt. Sie aufrütteln war seine Absicht gewesen, mehr nicht.
Ben schlief nicht. Er hörte sie reden in dem Zimmer gegenüber, wartete und sann mit seinen beschränkten Möglichkeiten auf einen Ausweg aus dem Dilemma. Er hatte fast alles verstanden, was seine Mutter gesagt hatte. Und er wollte nicht, dass sie Schmerzen leiden oder Angst haben musste. Allerdings begriff er nicht, warum ihr Wohlbefinden davon abhängen sollte, dass er in seinem Zimmer blieb. Wäre sie bei ihm gewesen, hätte sie gesagt, dass ihr der Kopf wehtue, ihn gebeten, ihr Haar zu streicheln, damit es besser wurde, oder den Nacken ein wenig zu drücken, nur den Nacken und nicht zu fest, das hätte ihm eingeleuchtet. Aber so.
Manchmal, das wusste er, sagten sie falsche Worte. Fast alle, die er kannte, taten das. Es gab nur wenige Ausnahmen, seine Mutter hatte nie zu diesen Ausnahmen gehört. Sie hatte ihm viele Dinge gesagt, die sich rasch als falsch erwiesen. Dass nur sie alleine totmachen durfte, allenfalls noch der Vater, war nur eines davon. Anderemachten auch tot, und niemand wurde dafür verprügelt. Geschlagen wurde immer nur er.
Er war unruhig. Die Stimmen aus dem Zimmer seiner Eltern drangen als beständiges Murmeln an seine Ohren. Als es endlich still geworden war, hielt er es nicht länger aus. Er erhob sich und schlich hinunter. Seine Puppe blieb vorerst auf dem Bett zurück. Er verließ das Haus nicht sofort, ging zunächst in die Küche.
Es war zwölf vorbei, vor dem Küchenfenster herrschte Finsternis, der Himmel war bewölkt. Er wusste genau, wo sein Messer lag. Nur war er nicht sicher, ob er es in der Dunkelheit fand. Also nahm er das Messer aus dem Ausguss, fuhr mit dem
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