Der Puppengräber
nicht, weil …
Vor Jahren hatte sie Heinz erzählt, wie das gewesen war mit Hildes Katze. Und wie hatte er regiert? Gelacht hatte er. Leise und wohlwollend gelacht und gesagt: «Trude, es steht doch nirgendwo geschrieben, dass Ben das Tier auseinandergenommen hat. So etwas traue ich ihm eigentlich auch nicht zu. Was spricht dagegen, dass er die Innereien gefunden hat?»
«All die Kratzer und das Taschenmesser», hatte Trude geantwortet. «Das war ein sehr teures Stück. Der Griff war mit Perlmutt besetzt.»
Gelacht hatte Heinz Lukka daraufhin nicht mehr, nur noch nachdenklich gelächelt.
«Zugegeben», hatte er gesagt, «das sieht natürlich so aus, als hätte das Vieh sich gegen ihn gewehrt. Aber Sorgen hättest du dir deshalb nicht machen müssen. Auch wenn er es getan hat und es rausgekommen wäre, das war nur eine Sachbeschädigung. Und er wäre nicht das erste Kind, das so etwas macht. Wenn du dich mal umhörst, was Kinder heute so treiben, gehen auf dem Schulhof mit Messern auf ihre Mitschüler los. Dagegen ist eine Katze nun wirklich harmlos. Und wir waren früher auch keine Engel.»
Es waren schon bei dem Gespräch ein paar Dinge gewesen, die Trude bitter aufstießen. Auseinandergenommen! Das war nicht der passende Ausdruck für Grausamkeit. Und Vieh nicht der Richtige für ein Geschöpf, das entsetzlich gelitten haben musste. Nun bekam der letzte Satz den Geschmack von heißem Blei. Wir waren früher auch keine Engel! Wahrhaftig nicht.
Trude wusste nicht, was sie sagen sollte, murmelte, dass sie so etwas nie von Heinz gedacht hätte. Dass es, auch wenn ein halbes Jahrhundert her, ganz schrecklich sei. Da hätte sie plötzlich ein furchtbar schlechtes Gewissen, weil sie seinen Rat und seine Hilfe so lange und immer gerne in Anspruch genommen hatte. Nun wisse sie gar nicht mehr, wie sie ihm begegnen solle. Einem Mörder!
Jakob sah wohl, dass sie sich das mehr zu Herzen nahm, als er angenommen hatte. Mit Entrüstung hatte er gerechnet, mit Einsicht und Zustimmung, aber nicht mit einer wachsweißen Haut und tonlosem Gestammel.
«Na, Mörder ja nun nicht», beschwichtigte er. «Selbst umgebracht hat er Edith Stern ja nicht.»
«Willst du ihn entschuldigen?», fragte Trude fassungslos.
«Nein!» Jakob schüttelte den Kopf. «Um Gottes willen, das bestimmt nicht. Ich hab dir immer gesagt, Heinz ist ein linker Hund, ihm ist nicht zu trauen. Hab ich es dir nicht hundertmal gesagt?»
«Du warst nur wütend auf ihn wegen Ben», meinte Trude.
Jakob schüttelte erneut den Kopf. «Mit Wut hat das nichts zu tun. Ich hab mich nur gefragt, warum setzt er sich für den Jungen ein? Macht mir Vorschriften, wie ich meinen Sohn zu erziehen habe. Und eins kannst du mir glauben, ich hab ihn nicht gerne geprügelt, weiß Gott nicht. Es war nur leider die einzige Möglichkeit, ihm etwas abzugewöhnen oder etwas beizubringen, das weißt du. Und da kommt so einer und sagt mir, da kann er nicht zuschauen. Was hat er denn damals gemacht? Da hat er nicht nur zugeschaut, den Befehl hat er gegeben. Und was meinst du, welche Befehle er gegeben hätte, wenn es so weitergegangen wäre? Abspritzen lassen hätte er ihn,wie Wilhelm Ahlsen es mit der kleinen Christa gemacht hat. Höchstpersönlich dafür gesorgt hätte er, dein lieber, guter Heinz. Und das wollte mir nie in den Kopf, dass sich so einer um hundertachtzig Grad drehen soll.»
«Vielleicht hat es ihm irgendwann leidgetan», meinte Trude. Sie hatte fast keinen Atem mehr. «Vielleicht wollte er auf die Weise etwas gutmachen. Das könnte doch sein. Er war ja wirklich noch sehr jung damals. Und als er älter wurde und vernünftiger, hat er vielleicht eingesehen, dass es ein Verbrechen war.»
«Vielleicht», sagte Jakob und grinste unfroh. «Wie war das eben mit dem Entschuldigen? Merkst du, was du gerade tust?»
«Nein», sagte Trude gequält. «Das tu ich nicht. Es ist nur, weil … Ich meine, wenn es ihm irgendwann leidgetan hat, wenn er es eingesehen und bereut hat, da müsste man …»
Sie verhaspelte sich, wusste nicht, wie sie es ausdrücken sollte. Es musste Heinz Lukka irgendwann leidgetan haben, es musste einfach. Heinz musste irgendwann begriffen haben, dass es ein schweres Verbrechen gewesen war, Edith Stern von zwei anderen erschlagen zu lassen. Er musste tiefe Reue empfunden und sich gewünscht haben, er könne es ungeschehen machen. Und weil das nicht möglich gewesen war, hatte er sich liebevoll um Ben gekümmert. Das waren sein «Vater unser»,
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