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Der Rabbi schoss am Donnerstag

Der Rabbi schoss am Donnerstag

Titel: Der Rabbi schoss am Donnerstag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Kemelman
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herablassend oder gönnerhaft, aber sie legte die vornehme Finesse der Großstadt an den Tag.
    Die beiden Rabbiner unterhielten sich über ihre früheren Klassenkameraden, doch Rabbi Levy war es, der aufgrund dessen, dass er aus New York und somit dem Zentrum aller Dinge kam, genau wusste, was sie alle taten, welche Gemeinde sie betreuten und welche Probleme sie dort hatten.
    «Und wie läuft’s mit deiner Gemeinde, David?», erkundigte er sich.
    «Ach, weißt du, ich habe auch so meine Probleme», antwortete Rabbi Small.
    «Du hast doch einen Vertrag auf Lebenszeit, nicht wahr?»
    Diese Frage beantwortete Miriam: «Man hat ihm vor einigen Jahren einen angeboten, aber er hat abgelehnt. Er will lieber nur einen Jahresvertrag.»
    Rabbi Levy machte große Augen. «Aber warum, David?»
    Rabbi Small zuckte die Achseln. «Es ist mir lieber so. Ich fühle mich ungebundener.»
    «Aber gibt es denn nicht jedes Jahr, wenn dein Vertrag verlängert werden muss, Auseinandersetzungen?»
    «Gelegentlich», musste Rabbi Small zugeben.
    «Augenblicklich auch gerade», erklärte Miriam. «Wegen des kommenden Jahres. Und David weigert sich, etwas dagegen zu unternehmen.»
    «Also, David, das ist grundfalsch», behauptete Levy wichtig. «Wir dürfen nie vergessen, dass der Rabbi zwar seiner Gemeinde dienen soll, aber er führt sie auch wie der Dirigent eines großen Symphonieorchesters. Und genau, wie der Dirigent zur Leitung des Orchesters sich hundertprozentig auf den Konzertmeister verlassen können muss, muss der Rabbi einen harten Kern –» er machte eine Faust, um den harten Kern zu demonstrieren – «von treuen Freunden unter den führenden Gemeindemitgliedern haben, die seine Politik vertreten, seine Pläne fördern und, jawohl, ihm zu Hilfe eilen, wenn er in Schwierigkeiten gerät.»
    Rabbi Small kam der Gedanke, dass Levy aus einer Predigt zitierte oder auch aus einem Vortrag, den er vor einer Gruppe Rabbinerstudenten gehalten hatte. Oder, überlegte er, er dachte überhaupt immer so.
    «Ich werd’s mir merken, Reuben», sagte er.
    Als sie sich verabschiedeten, war es nach Mitternacht, und die Smalls gingen zu ihrem Wagen, mit dem sie die weite Strecke nach Barnard’s Crossing zurücklegen mussten. Der Rabbi fingerte eine Zeit lang am Türschloss herum, dann gab er Miriam den Schlüssel. «Ich glaube, es ist besser, wenn du fährst», sagte er. «Ich habe wahrscheinlich ein bisschen mehr getrunken, als ich beabsichtigte.»
    «Geht es dir schlecht, Liebling?», erkundigte sie sich besorgt.
    «O nein! Aber morgen früh werde ich wohl Kopfschmerzen haben.»
    Am nächsten Morgen hatte er tatsächlich Kopfschmerzen, und als er aufwachte, war es zu spät für die Morgenandacht. Ja, sogar als Lanigan um die Mittagszeit auftauchte, war er noch immer in Bademantel und Hausschuhen. Er hatte sich zwar mehr oder weniger erholt, sah aber trotzdem abgespannt aus.
    Lanigan musterte ihn kritisch. «Entweder Sie haben die Grippe, oder Sie haben gestern Abend gefeiert.»
    «Ich fürchte, ich habe das Wiedersehen mit meinem alten Klassenkameraden ein bisschen mehr gefeiert, als das Ereignis es rechtfertigen könnte. Mein Gott, wie schafft ihr Nichtjuden das bloß?»
    «Ist es das erste Mal?», fragte Lanigan mitfühlend.
    «O nein! Am Passahfest müssen wir immer vier Becher Wein trinken, und der ist mir schon manchmal zu Kopf gestiegen. Und am Simchas Tora, wenn wir das Lesen der Schriftrollen beenden und wieder von vorn anfangen, neigen wir häufig dazu, unserer Freude und unserem Glück mit starken Getränken Ausdruck zu verleihen, gelegentlich auch allzu enthusiastisch. Ach ja, und am Purimfest ist Überfluss sogar praktisch Gebot.»
    «Ist das nicht schrecklich?», warf Miriam ein.
    Lanigan lachte. «Wie ich hörte, ist Tomatensaft gut dagegen. Aber ich bin gekommen, um Ihnen zu berichten, wie unser Fall steht. Weil ich finde, Sie haben ein Recht darauf, informiert zu werden. Wir haben Gore gestern Abend verhaftet, und heute Morgen ist es über die Nachrichten gekommen. Haben Sie’s nicht gehört?»
    Der Rabbi schüttelte den Kopf. «Ich habe bis zehn geschlafen.»
    «Kann ich mir vorstellen», entgegnete Lanigan grinsend. «Aber es hieß da auch nur, dass Lawrence Gore in Verbindung mit dem Jordon-Mord verhaftet wurde. Für die Mittagsnachrichten werden wir dann wohl weitere Informationen haben.»
    «Wie hat er reagiert, als …»
    «Ich habe die Verhaftung selbst durchgeführt. Weil ich jeden Fehler vermeiden wollte, wissen Sie –

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