Der Rabbi
verheiratet, werden Sie nicht dauernd unterwegs sein wollen.« Er legte die Finger zusammen. »Damit ergibt sich die Frage Ihrer weiteren Verwendung. Vielleicht hätten Sie Interesse an einer akademischen Laufbahn? Bei einer der Stiftungen für kulturelle Belange? Wir bekommen viele derartige Anfragen.«
Nach einer Pause setzte er hinzu: »Auf akademischem Boden ist man doch weniger engstirnig.«
»Ich will eine Gemeinde haben.« Michael wich dem Blick des anderen nicht aus.
Rabbi Sher seufzte. »Ein Gemeindeausschuß besteht aus Eltern. Wie immer Sie selbst über Ihre Heirat denken mögen - Eltern werden darin fast unvermeidlich ein schlechtes Beispiel für ihre Kinder sehen.«
»Ich will eine Gemeinde haben.«
Der Ältere hob hilflos die Schultern. »Ich werde mein möglichstes tun, Michael. Kommen Sie doch mit Ihrer Frau vorbei, wenn Sie ein bißchen Zeit haben. Ich möchte sie gern kennenlernen.« Und sie schüttelten einander nochmals die Hände.
Nachdem Michael gegangen war, ließ sich Rabbi Sher in seinen Sessel fallen, blieb eine Weile reglos sitzen und summte geistesabwesend die Toreador-Melodie aus »Carmen« vor sich hin. Dann drückte er den Summer auf seinem Schreibtisch.
»Lillian«, sagte er zu der eintretenden Sekretärin, »Rabbi Kind wird nicht mehr in die Ozarks gehen.«
»Soll ich die Karte in den Ordner Offene Stellen geben?« fragte sie.
Sie war eine verblühende Frau in mittleren Jahren, und sie tat ihm immer wieder leid.
»Bitte, tun Sie das«, sagte er. Nachdem sie gegangen war, summte er weiter den Bizet vor sich hin, alles, was ihm von den Melodien aus
»Carmen« noch irgend einfiel - dann drückte er nochmals den Summer.
»Halten Sie die Ozarks-Karte noch eine Weile zurück«, sagte er zu Lillian. »Vielleicht werden wir diesen Posten überhaupt nicht besetzen können, wenn wir nicht einen verheirateten Mann finden, der bereit ist, zu reisen.«
Ihr schneller Blick fragte, ob er nun endlich wisse, was er wolle. »Das ist aber sehr unwahrscheinlich«, sagte sie.
»Allerdings«, stimmte er zu.
Er trat ans Fenster, stützte die Hände auf die Brüstung und sah hinunter. Unten tobte der Fifth-Avenue-Verkehr wie eine Schlacht, die Hupen schrillten wie die Schreie von Verwundeten. Diese Taxis, dachte er, ruinieren die ganze Stadt.
25
Noch vor gar nicht so langer Zeit hatte es in Cypress, Georgia, keine jüdische Gemeinde gegeben. Vor dem Krieg-dem Zweiten Weltkrieg, nicht dem Bürgerkrieg - lebten in der ganzen Stadt kaum ein paar Dutzend jüdischer Familien. Ihr Oberhaupt war Dave Schoenfeld, Verleger und Herausgeber der wöchentlich erscheinenden Cypress News. Als Ururenkel des Captain Judah Schoenfeld, der unter Hood bei Peachtree Creek eine Kompanie kommandiert und dabei eine Miniékugel in den Hals bekommen hatte, war Dave mehr Südstaatler als Jude und unterschied sich kaum von irgendeinem starrköpfigen Baptisten in Cypress, höchstens dadurch, daß er einen etwas größeren Einfluß bei den Wahlen besaß.
Dave Schoenfeld befand sich als Oberstleutnant der Abwehr in Sondrestrom auf Grönland, als daheim in Cypress der erste Freitagabend-Gottesdienst gehalten wurde. Ein Militärrabbiner aus Camp Gordon, Jacobs mit Namen, brachte einen Bus voll jüdischer Infanteristen in die Stadt und zelebrierte in der First Baptist Church mit besonderer Erlaubnis der Diakone eine Jom-Kipur- Feier. Sie wurde von sämtlichen Juden der Stadt besucht und fand solchen Anklang, daß sie im darauffolgenden Jahr wiederholt wurde. Aber ein weiteres Jahr später war zu Jom-Kipur kein Rabbiner da, der den Gottesdienst hätte halten können, denn Rabbi Jacobs war nach Übersee versetzt worden und ein Ersatzmann für ihn noch nicht eingetroffen. Die hohen Feiertage kamen und gingen in Cypress ohne Gottesdienst, und dieser Mangel wurde in der Stadt bemerkt und kommentiert.
»Warum können wir nicht unseren eigenen Sabbat-Gottesdienst haben?«
regte der junge Dick Kramer an; er hatte Krebs und dachte viel über Gott nach.
Andere zeigten sich diesem Vorschlag zugänglich, und so kamen am folgenden Freitag vierzehn Juden im Hinterzimmer von Ronnie Levitts Haus zusammen. Sie rekonstruierten den Gottesdienst aus dem Gedächtnis, und Ronnie, der nach dem Ersten Weltkrieg in New York Gesang studiert hatte, bevor er nach Hause kam, um seines Vaters Terpentinfabrik zu leiten - Ronnie übernahm das Amt des Kantors. Sie sangen, was ihnen vom Ritual in Erinnerung geblieben war, begeistert und
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