Der Rabbi
überlegte einen Augenblick lang und sagte dann: »Milt Greenfield ist Rabbiner in Bathpage.«
Noch am selben Nachmittag rief er von einer Telephonzelle in einem Drugstore der Lexington Avenue an. Die Stimme Rabbi Greenfields war voll Anteilnahme, wurde dann aber leiser und distanziert.
»Willst du das auch ganz sicher, Michael?«
»Sei nicht so dumm. Wenn ich nicht sicher wäre, würde ich dich nicht anrufen.«
»Gut, wenn das so ist - dann freue ich mich, daß du gerade mich angerufen hast, du alter Gauner«, sagte Greenfield abschließend. In der Nacht, als die Eltern schon schliefen, saß Michael in seinem altvertrauten Zimmer wach über der Modern Reader's Bible und suchte nach der Übersetzung jener Bibelstelle, die Max Gross ihm entgegengeschleudert hatte, um ihn aus der Synagoge zu jagen.
Endlich fand er sie. Sprüche 5, 3.
Denn die Lippen der Fremden sind süß wie Honigwein, und ihre Kehle ist glatter als Öl: aber hernach bitter wie Wermut und scharf wie ein zweischneidiges Schwert. Ihre Füße laufen zum Tod hinunter, ihre Gänge führen ins Grab.
Sie geht nicht stracks auf dem Wege des Lebens; unstet sind ihre Tritte, daß sie nicht weiß, wo sie geht.
Er hatte befürchtet, keinen Schlaf finden zu können. Aber noch während des Gebetes nickte er ein. Als er am anderen Tag erwachte, erinnerte er sich seiner Träume nicht.
Beim Frühstück beobachtete er seine Mutter mit Unbehagen. Leslie hatte mit ihrem Vater telephoniert und dann lange und still vor sich hingeweint. Auf Michaels Vorschlag, den Reverend John Rawlings aufzusuchen und alles durchzusprechen, hatte sie nur stumm den Kopf geschüttelt. Voll Erleichterung drang er nicht weiter in sie.
Er verspürte auch keine Lust, seine Eltern jetzt schon einzuweihen, denn er wußte, daß er damit eine Szene heraufbeschwor, und das schob er gerne hinaus.
Er war eben bei seiner zweiten Tasse Kaffee angelangt, da läutete das Telephon.
Rabbi Sher war am Apparat.
»Woher wissen Sie, daß ich in New York bin?« fragte Michael nach dem Austausch der üblichen Höflichkeitsphrasen.
»Ich habe zufällig mit Milt Greenfield gesprochen«, sagte Rabbi Sher.
Das ist ganz Milt, dachte Michael.
»Können Sie auf einen Sprung bei mir im Büro vorbeikommen?«
fragte Rabbi Sher.
»Ja, heute nachmittag.«
»Es besteht für mich kein Zweifel, daß Sie Ihren Entschluß reiflich erwogen haben«, sagte Rabbi Sher betont liebenswürdig. »Ich möchte nur sichergehen, daß Sie sich auch aller möglichen Folgen einer solchen Verbindung bewußt sind.«
»Ich heirate eine Jüdin.«
»Möglicherweise ruinieren Sie sich eine brillante Rabbinatskarriere.
Solange Sie das wissen, ist alles in Ordnung, wenn auch vielleicht ...
nicht sehr realistisch. Ich wollte nur sichergehen, daß Sie nicht vielleicht die Folgen übersehen haben in einer Anwandlung von -« er suchte nach Worten.
»Sinnloser Leidenschaft.«
Rabbi Sher nickte. »Genau das.«
»Ist es nicht so, daß wir zeit unseres Lebens angesichts der weltlichen Verirrungen drauf bestehen, daß auch Juden nur Menschen sind, und daß alle Menschen gleich sind vor Gott. Wenn wir mit unseren Kindern über die Protokolle der Weisen von Zion reden, betonen wir ausdrücklich, daß wir einzig dazu auserwählt sind, die Bürde des Bundes zu tragen. Aber tiefer unter all dem liegt jene Angst, die uns zum vorurteilsbeladensten Volk der Erde gemacht hat. Warum ist das so, Rabbi?«
Von draußen drangen ferne Hupgeräusche an ihr Ohr. Rabbi Sher trat ans Fenster und sah auf das Verkehrschaos der Fifth Avenue hinunter. Nichts als Taxis. Viel zu viele. Außer es regnet und du brauchst eines, dachte er. Er wandte sich um. »Wie sonst hätten wir fünftausend Jahre überdauert?«
»Aber das Mädchen, das ich heirate, ist Jüdin.«
»Ihr Vater ist kein Jude.«
»Aber ist Judentum eine Frage des Blutes? Oder ist es ein ethischer, ein theologischer Begriff, eine Art zu leben?«
Rabbi Sher kniff die Augen zusammen. »Bitte, Michael, keine Diskussion! So einzigartig ist Ihre Situation auch wieder nicht, das wissen Sie. Wir haben so etwas schon gehabt, und es hat immer eine Menge Schwierigkeiten damit gegeben.« Er trat vom Fenster zurück.
»Sie sind also fest entschlossen?«
Michael nickte.
»Dann wünsche ich Ihnen viel Glück.« Er streckte Michael die Hand entgegen, und dieser schüttelte sie.
»Noch etwas, Rabbi«, sagte er. »Sie sollten jetzt jemand anderen für die Ozarks suchen.«
Sher nickte. »So jung
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