Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Rabbi

Der Rabbi

Titel: Der Rabbi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noah Gordon
Vom Netzwerk:
blondes Haar war glatt zurückgestrichen und wurde von einem breiten, häßlichen Gummiband zu einem Pferdeschweif zusammengefaßt, wie sie ihn seit Jahren nicht mehr getragen hatte. Aber jetzt wirkte das matronenhaft, anstatt wie früher jugendlich. Sie trug ein frisches blaues Kleid, und auch der Lippenstift war frisch aufgetragen. Sie hatte ziemlich zugenommen, aber das stand ihr.
    »Da bin ich«, sagte er.
    Dabei fürchtete er, es würde wieder so kommen wie zu Beginn ihrer Krankheit, denn sie sah ihn nur an und sagte kein Wort. Dann aber lächelte sie, während ihr die Tränen kamen.
     
    »Da bist du.«
    Endlich hielt er sie wieder in den Armen, so sanft und vertraut wie je; spürte wieder den langentbehrten Geruch, diese Mischung aus Kamillenseife und Paquins Handcreme und atmender Haut. Er preßte sie an sich.
    Gepriesen seist du, Herr unser Gott, Amen.
    Befangen küßten sie einander, fast scheu, und dann saßen sie auf dem Bettrand und hielten einander an den Händen. Das Zimmer war erfüllt von dem Geruch eines starken Desinfektionsmittels.
    »Wie geht's den Kindern?« fragte sie.
    »Gut. Sie möchten dich sehen. Wann immer du willst.«
    »Ich hab mir's überlegt. Ich möchte sie doch lieber nicht sehen. Nicht hier und nicht so. Ich möchte nach Hause, so bald als möglich.«
    »Ich hab das gerade mit Dr. Bernstein besprochen. Wenn du willst, kannst du uns daheim besuchen.«
    »Und ob ich will! « 
    »Wann?«
    »Können wir gleich fahren?«
    Michael ließ sich mit Dan verbinden, und die Sache war abgemacht.
    Fünf Minuten später half er ihr schon in seinen Kombiwagen, und dann fuhren sie dem Krankenhaus davon, wie zwei verliebte junge Leute.
    Leslie trug ihren alten blauen Mantel und ein weißes Kopftuch. Niemals war sie schöner als jetzt, dachte er. Ihr Gesicht war voll Leben und Freude.
    Es war kurz nach elf. »Anna hat heute frei«, sagte er. Sie sah ihn argwöhnisch an. »Anna?«
     
    Er hatte ihr schon mehrmals von Anna geschrieben. »Die Haushälterin.
    Wollen wir nicht lieber in einem netten Lokal zu Mittag essen?«
    »Nnn - nein. Lieber daheim. Irgend etwas find ich schon in den Regalen, das ich zubereiten kann.«
    Vor dem Haus angelangt, ließ er den Wagen in der Zufahrt stehen, und sie betraten von hinten das Haus. Prüfend durchschritt sie die Küche, das Speise-und das Wohnzimmer, rückte da und dort ein Bild gerade und zog die Vorhänge zur Seite.
    »Zieh doch den Mantel aus«, sagte er.
    »Das wird eine Überraschung sein für die Kinder.« Sie sah auf die Standuhr. »In drei Stunden sind sie da.«
    Sie schlüpfte aus dem Mantel, und er hängte ihn in den Vorzimmerschrank. »Weißt du, was ich jetzt möchte? Ein gutes heißes Bad, und lang drin liegen bleiben. Ich brauch keine Dusche mehr für den Rest meines Lebens.«
    »Bitte, ganz wie du willst - gehen wir hinauf.«
    Er ging voraus und ließ das Wasser für sie einlaufen, setzte ihm auch all die Badesalze zu, die niemand angerührt hatte, seit sie nicht mehr da war. Und während sie badete, entledigte er sich der Schuhe, legte sich auf das Messingbett und lauschte dem Geplätscher und den Weisen, die sie beim Waschen vor sich hinsummte. Schon lange hatte ihm nichts so schön geklungen.
    In seinen Schlafrock gehüllt, lief sie durch das ungeheizte Zimmer in ihre Garderobe, wo sie unter all ihren Kleidern eines suchte, das ihr noch paßte.
    »Was soll ich für Nachmittag anziehen? Komm her, hilf mir aussuchen.«
     
    Er trat neben sie. »Das grüne Jerseykleid.«
    Unwillig stampfte sie mit dem bloßen Fuß auf. »Da komm ich ja nicht einmal mehr mit dem Kopf hinein, so fett bin ich dort drüben geworden.«
    »Zeig her.« Er zog den Schlafrock auseinander, und sie duldete es und ließ ihn sehen, was er wollte.
    Plötzlich schlang sie die Arme um ihn und preßte ihr Gesicht an seine Brust. »Mir ist kalt, Michael.«
    »So komm doch, ich wärme dich.«
    Sie blieb stehen, während er sich hastig auszog, und dann froren sie gemeinsam auf dem kalten Leintuch, einer in den Armen des anderen.
    Und während sie ihn mit den Beinen hielt und ihm die Zehen in die Waden bohrte, sah er über ihre Schulter hinweg ihrer beider Bild in dem großen Wandspiegel. Er starrte auf die weißen Körper in dem gelblichen Glas und fühlte dabei seine Jugend zurückkehren. Nicht mehr welk war das Blatt nun, nicht herbstlich, sondern prall und voll Sommer. Schon zitterten sie nicht mehr vor Kälte, schon durchströmte sie die Wärme, und er tastete ihr über den

Weitere Kostenlose Bücher