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Der Rabbi

Der Rabbi

Titel: Der Rabbi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noah Gordon
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eine Stadt mit 113.000 Einwohnern. Fast 80.000 davon waren Juden, dann gab es noch ein paar tausend Zigeuner. Der Rest waren Moldau-Rumänen. Obgleich die Juden in Kischinew in der Majorität waren, duldeten sie resigniert die Verwünschungen, den Spott und die Verachtung der Christen: nur zu gut wußten sie, daß ihr Getto eine Insel inmitten eines Meeres von Feindseligkeit war. Selbst wenn ein Jude bereit gewesen wäre, die Stadt zu verlassen, um bei der Obsternte oder Weinlese auf dem Land zu helfen - es wurde ihm nicht gestattet.
    Der Staat belegte die Juden mit schweren Steuern, achtete streng auf ihre Konfinierung und subventionierte eine Tageszeitung - den Bessarabetz -, die von einem fanatischen Antisemiten namens Pavolachi Kruschevan mit dem einzigen Ziel herausgegeben wurde, seine Leser zum Judenmord aufzustacheln. Der Name Kruschevan war Michael von Kind an bekannt; auf den Knien seines sejde lernte er ihn zu hassen, wie man Haman haßt. Wenn er im geheimnisvollen Halbdunkel des winzigen Gemischtwarenladens auf den Schoß seines Großvaters kroch, erzählte ihm jener statt Märchen und Kinderreimen die Legende seiner Irrfahrt nach Amerika.
    Isaacs Vater, Mendel Rivkind, war einer der fünf Hufschmiede von Kischinew gewesen, ein Mann, der von Kind auf an den Geruch von Pferdeschweiß gewöhnt gewesen war. Mendel war glücklicher als die meisten Juden: er hatte eigenen Besitz. An der Nordwand der armseligen, baufälligen Holzhütte, die er sein Haus nannte, gab es zwei selbstgebaute Essen aus Ziegelsteinen. Er betrieb sie mit Holzkohle, die er selbst in einem Erdloch brannte, und blies das Feuer mit einem gewaltigen, aus dem Fell eines Stieres gefertigten Blasbalg an.
    In Kischinew herrschte große Arbeitslosigkeit. Niemand konnte für das Beschlagen der Tiere viel bezahlen, und die Rivkinds waren ebenso arm wie ihre Nachbarn. Es war schwer genug, auch nur das Leben zu fristen; nie wäre es einem Juden aus Kischinew in den Sinn gekommen, Geld zu sparen - denn es gab einfach kein überflüssiges Geld. Zwei Monate vor Isaacs Geburt geschah es aber, daß zwei Vettern des Mendel Rivkind von einer Horde betrunkener junger Rumänen verprügelt wurden. Und da faßte der Schmied den Entschluß, irgendwie und irgendwann mit seiner Familie in ein besseres Land zu flüchten.
    Waren sie bisher nur arm gewesen, so stürzte dieser Entschluß sie ins Elend. Sie versagten sich alles und jedes, ja sie strichen sogar jene Ausgaben, die sie bisher für lebensnotwendig gehalten hatten. So wuchs hinter einem gelockerten Ziegel am Grunde einer der Feueressen Rubel um Rubel, ein winziger Geldschatz, von dem niemand wußte als Mendel und seine Frau Sonya. Und sie erzählten keinem Menschen davon, denn sie wollten nicht zu nachtschlafender Zeit von irgendeinem besoffenen Bauern erschlagen werden.
    So gingen die Jahre, und Jahr um Jahr wuchs der Schatz um einen jämmerlich kleinen Betrag. Sobald Isaac bar-mizwe war, führte ihn sein Vater in einer dunklen und kalten Nacht zu der Esse, zog den Ziegel heraus und ließ Isaac den Rubelberg fühlen, wobei er ihm seine Zukunftsträume entdeckte.
    Es war schwierig, im Sparen mit dem Familienwachstum Schritt zu halten. Erst war nur Isaac da, aber drei Jahre später war eine Tochter zur Welt gekommen, die sie Dora genannt hatten nach ihrer Großmutter, aleja ha Schalom , sie ruhe in Frieden. Trotzdem hatten sie 1903 genug Rubel gespart, um drei Zwischendeck-Oberfahrten nach den Vereinigten Staaten zu bezahlen. Dora war nun achtzehn Jahre alt, und Isaac, mit seinen zweiundzwanzig, war seit mehr als einem Jahr verheiratet. Seine Frau Itta, geborene Melnikov, erwartete schon ein Kind - und das bedeutete, daß sie in den kommenden Jahren noch mehr Rubel würden ersparen müssen.
     
    Die Zeiten wurden schlechter, und Kruschevan wurde gefährlicher. Im jüdischen Spital von Kischinew hatte ein Christenmädchen Selbstmord verübt. In einem nahe gelegenen schtetl hatte ein Betrunkener seinen kleinen Neffen zu Tode geprügelt. Kruschevan stürzte sich begierig auf diese beiden Ereignisse: in seinem Blatt stand zu lesen, die beiden seien Opfer der Juden geworden, die der abscheulichen Zeremonie des Ritualmordes anhingen.
    Es war Zeit zur Flucht für jene, die flüchten konnten. Mendel befahl Isaac, das Geld zu nehmen und zu gehen; die übrige Familie könnte später nachkommen. Isaac aber hatte andere Pläne. Er war jung und kräftig und hatte von seinem Vater das Schmiedehandwerk gelernt. Er wollte

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