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Der Rabbi

Der Rabbi

Titel: Der Rabbi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noah Gordon
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»Kann nicht«, stammelte er. Seine Lippen hatten einen bläulichen Schimmer, als wäre er zu lange im Wasser gewesen.
     
    Michael blieb stehen. »Kann ich Ihnen helfen?«
    »Wenn Sie ihn hineintragen könnten?« fragte die Frau zögernd. Als Michael ihn aufhob, schloß der Kleine die Augen. Das Zelt war beinahe schon voll. Michael setzte seine Last auf einem der hölzernen Klappstühle ab.
    »Bedank dich schön bei dem guten Onkel«, sagte die Frau nachdrücklich. Aber die bläulichen Lippen regten sich nicht. Die Augen blieben geschlossen.
    Michael nickte der Frau zu und ging.
    Die vordersten Reihen waren komplett besetzt. So nahm er in der Mitte einer noch leeren Reihe im hinteren Drittel des Zeltes Platz.
    Drei Minuten später war auch diese Reihe besetzt. Unmittelbar vor ihm saß ein fettes Weib, deren Kopf in krampfhaftem Rhythmus hin und her schaukelte, als würde er an einem Strick gezogen.
    Links neben ihm saß ein Blinder in mittleren Jahren, ein Sandwich in seinen großen, von Arthritis deformans zu Klauen verkrümmten Händen.
    Rechts von ihm saß eine gutgekleidete attraktive Frau, die normal und gesund wirkte, sich aber unablässig über die Brust strich. Jetzt wischte sie auch über Michaels Schulter.
    »Joy«, sagte besänftigend die Frau neben ihr. »Laß doch den Herrn in Ruhe! «
    »Aber die Ameisen!« sagte sie. »Er ist doch voller Ameisen.« »Aber laß doch, er hat Ameisen gern.«
    Die Frau schnitt ein Gesicht. »Aber i c h nicht«, sagte sie, strich sich abermals über die Brust und schüttelte sich.
     
    Das Zelt wurde nun sehr schnell voll. Ein vor Gesundheit strotzender Mann in weißem Leinenanzug kam den Mittelgang nach vorne. Ihm folgten zwei Neger mit einer Tragbahre, auf der ein gelähmtes, etwas zwanzigjähriges blondes Mädchen lag.
    Ein Ordner stürzte auf sie zu. »Stellen Sie sie gleich im Mittelgang neben den Sitzen ab und bleiben Sie daneben sitzen. Die Eckplätze sind für diesen Zweck reserviert«, sagte er. Die Neger setzten die Bahre ab und entfernten sich. Der Mann griff in die Tasche und zog eine Banknote heraus.
    »Der Herr segne Sie.«
    An der Stirnseite des Zelts war eine Bühne mit Vorhang errichtet, und eine Rampe führte von der Bühne in den Zuschauerraum. Jetzt wurden zwei Fernsehkarren von Kameraleuten herausgefahren, die wie Jockeis auf ihnen ritten. Nachdem sie sie richtig eingestellt hatten, schwenkten sie damit über die Sitzreihen, und schon schwammen wie Schwärme von Fischen die Gesichter über die Bildschirme. Und die Leute sahen sich selber zu. Manche von ihnen pfiffen oder gestikulierten. Der Blinde lächelte. »Was ist denn da los?« fragte er, und Michael sagte es ihm. Jetzt trat ein hübscher dunkelhaariger junger Mann durch den Vorhang, eine Trompete in der Hand. Er trug kein Jackett, aber sein weißes Hemd war gestärkt, und seine blaue Seidenkrawatte war zum festen Windsorknoten gebunden. Das pomadisierte Haar war sorgfältig an die Schläfen geklebt, und seine Zähne strahlten nur so, wenn er lachte. »Ich heiße Cal Justice«, sagte er in das Mikrophon. »Manche von Ihnen werden mich besser kennen unter dem Namen Trompeter Gottes.« Beifall rauschte auf. »Billy Joe wird in wenigen Minuten hier sein. Bis dahin möchte ich Ihnen gern eine kleine Melodie vorspielen, die Sie alle kennen und lieben.«
    Er spielte »The Ninety and Nine«, und er konnte spielen. Zunächst klang es langsam und melancholisch, aber in der Wiederholung wurde er schneller, und jemand begann, mit den Händen den Takt dazu zu schlagen, und schon klatschte und sang das ganze Zelt mit, ein Sklave der wilden, goldenen Führung dieser Trompetenstimme, die sich hoch über ihre eigenen Stimmen erhob. Das fette Weib vor Michael war zum menschlichen Metronom geworden, so perfekt schaukelte ihr Kopf im Takt des Händeklatschens.
    Der Trompeter hatte starken und anhaltenden Applaus, der aber noch stärker wurde, als ein zweiter Mann in Hemdsärmeln durch den Vorhang auf die Bühne trat. Er war groß, breitschultrig, mit großem Kopf und schweren Händen; die Nase war fleischig, der Mund breit, die Augen waren von schweren Lidern bedeckt.
    Der Trompeter verließ die Bühne. In ihrer Mitte stand nun der große Mann und lächelte, während das Volk unter ihm in die Hände klatschte und mit Geschrei sein Lob verkündete.
    Jetzt hob er beide Hände zum Himmel, mit gespreizten Fingern. Der Lärm verstummte. Von oben senkte sich an seinem Galgen das Mikrophon herab, senkte sich, bis es vor

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