Der Rabbi
dich doch. Du kannst, wenn du nur willst.«
Bebend wandte er sich an den Ordner. »Gehen Sie zu Mr. Raye und sagen Sie ihm, er soll, zum Teufel, sofort kommen und noch ein bißchen beten.«
28
An einem Herbstmorgen in den Föhrenwäldern bei Athens hatte Dick Kramer zum erstenmal gemerkt, daß er vielleicht doch nicht mit heiler Haut davongekommen war. Er und sein Cousin Sheldon hatten mit ihren Hunden systematisch die Hügel durchstreift. Die beiden gehörten zu den besten Schützen der Universität und waren daher vom Hauskomitee ihrer Studentenverbindung von weniger beliebten Pflichten befreit worden, um für die Küche der Verbindung Schnepfen und Wachteln zu jagen. Die beiden jungen Leute waren seit langem Jagdkonkurrenten, und zur Zeit fühlte sich Dick besonders gut in Form. Er hatte aus der Richtung, in der er Sheldon vermutete, bis jetzt nur drei Schüsse gehört, und er wußte, daß er weit im Vorsprung war, selbst wenn jeder Schuß einen Treffer bedeutet haben sollte. Es war sein erster Versuch mit einem neuen Zwanziger-Browning; seine frühere Waffe war ein Sechzehner gewesen, und er hatte gefürchtet, er werde mit dem kleineren Kaliber Schwierigkeiten haben. Aber schon trug er ein Schnepfenpaar und zwei Wildtauben in seiner Jagdtasche, und während er sich noch im Gedanken daran erwärmte, flatterte eine weitere Taube mit schwerem Flügelschlag vor ihm auf gegen den blauen Himmel, und er hob das Schießeisen genau im richtigen Augenblick an die Schulter, drückte präzis auf den Abzug, spürte den Rückstoß und sah den aufsteigenden Vogel innehalten und dann wie einen Stein zu Boden fallen. Der Hund holte die Taube, und Dick nahm sie ihm ab und tätschelte den Hund und langte in seine Tasche. Seine Hand -
die rechte - umfaßte ein Stück Zucker, aber als er sie aus der Tasche zog, wollten sich die Finger nicht öffnen, um Red seinen Lohn zu geben.
Sheldon kam über den Hügel herangeschlendert, ärgerlich dreinblickend und gefolgt von der keuchenden und geifernden alten Bessie. »Du Halunke«, sagte er. »Das reicht, die Burschen werden ein paar Bohnendosen aufmachen müssen.« Er wischte sich mit dem Hemdsärmel über die Stirn. »Ich hab nur zwei. Und du?« Dick hielt noch immer die Taube in der Hand, die er dem Hund soeben aus dem Maul genommen hatte. Er glaubte zu antworten: »Die da und noch vier.« Aber sein Cousin sah ihn mit verständnislosem Grinsen an.
»Wie?«
Er wiederholte den Satz, und das Grinsen wich von Sheldons Gesicht. »Hallo, Dick, was ist denn, fehlt dir was, mein Junge?«
Er sagte noch irgend etwas, und Sheldon faßte ihn am Ellbogen und schüttelte ihn ein wenig. »Was ist denn los, Dickie?« sagte er. »Du bist weiß wie ein Leintuch. Jetzt setz dich einmal, aber sofort.«
Er setzte sich auf die Erde, und der Hund kam und beschnüffelte sein Gesicht mit seiner kalten Nase, und nach ein paar Minuten konnte er die Finger wieder öffnen und dem Hund den Zucker geben. Die Hand blieb merkwürdig gefühllos, aber davon sagte er Sheldon nichts. »Ich glaube, es geht schon wieder«, behauptete er.
Sheldon schien erleichtert, als er Dicks Stimme hörte. »Ist dir wirklich besser?« fragte er.
»Ja.«
»Trotzdem«, sagte Sheldon, »gehen wir lieber nach Hause.«
»Warum so früh?« protestierte Dick. »Es geht mir ausgezeichnet.«
»Sag, Dickie - vor ein paar Minuten, wie dein Gesicht so bleich geworden ist -, kannst du dich erinnern, daß du da etwas zu mir gesagt hast?«
»Ja. Ich glaube schon. Warum?«
»Weil es ... völlig unverständlich war. Ohne Zusammenhang.« Er spürte einen Anflug von Angst, kaum merklich, wie ein lästiges Insekt, das er mit einem Lachen verscheuchte. »Hör auf, du willst mich ins Bockshorn jagen, nicht wahr?«
»Nein, im Ernst.«
»Na schön, jetzt geht's mir wieder gut«, sagte er. »Und du hast mich ja schließlich verstanden.«
»Du hast keine Beschwerden gehabt in letzter Zeit - oder?« fragte Sheldon.
»Herr Gott, nein! « sagte Dick ungeduldig. »Jetzt sind es fünf Jahre seit dieser Operation. Ich bin gesund wie ein Roß, und du müßtest das eigentlich wissen. Wann wollt ihr endlich aufhören, mich als Kranken zu behandeln?«
»Ich möchte, daß du zum Arzt gehst«, sagte Sheldon.
Er war ein Jahr älter als Dick, fast so etwas wie ein großer Bruder.
»Wenn dir davon leichter wird, na bitte«, sagte Dick. »Schau dir das an.« Er streckte den rechten Arm aus: nicht das geringste Zittern.
»Nerven aus Stahl«, sagte er
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