Der Rabbi
nett, wenn Sie es versuchen wollten.«
»Ich nehme Sie beim Wort«, sagte sie. »Worüber darf man bei Ihnen nicht schreiben?«
»Sie können über alles schreiben, nur nicht über verfrühte Schwangerschaften und die Rolle der Schwarzen in den United Nations«, sagte er.
»Zu viele Tabus für mich«, sagte sie.
»Kommen Sie morgen vormittag in die Redaktion«, sagte er beim Weggehen. »Wir werden Ihren ersten Auftrag besprechen.«
Später, als sie zu Bett gingen, erzählte sie Michael von diesem Gespräch.
»Klingt nicht schlecht«, sagte er. »Wirst du's machen?«
»Ich glaube schon«, sagte sie. »Aber ich weiß nicht, ob ich es schaffen werde. Sie sind hier so verdammt empfindlich in der Negerfrage.
Neulich beim Bridge haben sie sich eine halbe Stunde darüber den Mund zerrissen, wie unmöglich die Schwarzen seit dem Krieg geworden sind. Und es wäre ihnen nicht eingefallen, aus Rücksicht auf Lena Millmans Dienstmädchen leiser zu sprechen. Das arme Mädchen hat im Nebenzimmer weitergearbeitet, mit völlig unbewegtem Gesicht, als würden sie Hindostani sprechen.«
»Oder Jiddisch«, seufzte er. »Dabei haben einige von unseren Mitgliedern eine sehr anständige Einstellung in Rassenfragen.« »Privat.
Ganz privat. Sie sind so eingeschüchtert, daß sie sich nur darüber zu sprechen trauen, wenn alle Fenster zu sind. Sag einmal, Lieber - müßtest du diese Dinge nicht früher oder später von der Kanzel herab zur Sprache bringen?«
»Lieber später«, sagte er und schloß die Badezimmertür hinter sich.
Er hatte in der Frage der Rassenbeziehungen schon eine Niederlage hinnehmen müssen.
In einer schul in Brooklyn hätte ein frommer alter Jude den Posten des Gemeindedieners bekleidet und sein Amt als Vorwand für ein Leben in Gebet und Studium verwendet; der schamess des Tempels Sinai aber war ein feister Neger namens Joe Williams. Michael hatte von Anfang an bemerkt, daß der Abfalleimer nie ausgeleert, das Messing nie geputzt, der Boden nie aufgewaschen und gewachst war, wenn er es nicht ausdrücklich und wiederholt verlangte. Auch in anderen Dingen war Williams eher nachlässig, wie der säuerliche Geruch, den er verströmte, ebenso bewies wie die salzgeränderten Flecken, die sein Hemd unter den Achseln zierten.
»Wir sollten ihn hinauswerfen und uns jemanden anderen suchen«, hatte Michael dem Vorstand des Wirtschaftsausschusses, Saul Abelson, wiederholt vorgeschlagen.
Abelson lächelte nachsichtig. »Die sind einer wie der andere, Rabbi«, sagte er. »Der nächste wird genauso wenig taugen. Man muß jedem auf die Finger schauen.«
»Aber Sie können doch nicht abstreiten, daß man Tag für Tag bei uns auf der Straße saubere, freundliche und aufgeweckte Neger sieht.
Warum versuchen wir nicht, so jemanden zu finden?« »Sie verstehen das noch nicht«, sagte Abelson geduldig. »Wenn Joe faul gewesen ist, dann muß ich eben mit ihm sprechen.« Eines Tages hatte sich Michael wieder darüber geärgert, daß die silbernen Geräte nicht poliert waren, und er beschloß, den schamess in seiner Behausung aufzusuchen.
Der Keller war düster, es roch nach Feuchtigkeit und verrottetem Zeitungspapier.
Er fand Joe Williams in trunkenem Schlaf auf einer schmutzigen Armeedecke und schüttelte ihn. Der Mann murmelte etwas und leckte sich die Lippen, aber er wachte nicht auf. Neben dem Schlafenden lagen ein Heft und ein Bleistiftstummel. Michael hob das Heft auf. Er las nur eine einzige Zeile, die auf die erste Seite gekritzelt war: Der Nigger ist ein Meter achtzig groß, die Welt wie ein Zimmer von nur ein Meter zwanzig Höhe.
Er legte das Heft zurück auf seinen Platz und machte Joe Williams nie wieder einen Vorhalt.
Statt dessen sperrte er sich nun jeden Freitagnachmittag für eine halbe Stunde in seinem Arbeitszimmer ein, breitete Zeitungspapier über seinen Schreibtisch und machte sich mit Lappen und Putzmittel daran, den Silberkelch für den Sabbatwein rechtzeitig vor dem abendlichen Gottesdienst zu polieren. Und manchmal, während er verbissen sein Silber polierte und dabei das graue Putzmittel unter die Nägel bekam, hörte er aus dem Keller einen Schlag oder gelegentlich auch einen Fluch, die bewiesen, daß der schamess Joe Williams noch am Leben war.
Leslie schrieb für jede Nummer der News eine Story, leichte, humoristische Beiträge oder etwas Historisches mit allgemeinmenschlichen Aspekten. Sie erhielt dafür je sieben Dollar fünfzig Cents und sah ihren Namen gedruckt, was ihr
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