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Der Rabbi

Der Rabbi

Titel: Der Rabbi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noah Gordon
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»Sofort.«
    »Hat es Zeit bis morgen?«
    Der alte Arzt zögerte einen Augenblick und sagte dann lächelnd: »Aber natürlich. Machen Sie einen Tag Urlaub.«
    Dick verließ das Krankenhaus vor dem Mittagessen und fuhr fast hundert Kilometer bis Athens. Vor einer Imbißstube hielt er an, aber er war nicht hungrig und ging, statt zu bestellen, direkt in die Telephonzelle, um Betty Ann Schwartz im Haus ihrer Studentenverbindung anzurufen. Er mußte warten, bis man sie aus dem Speisesaal geholt hatte. Ja, sagte sie, sie sei am Abend frei, und mit Vergnügen.
    Er wollte keinem seiner Kollegen begegnen, und er hatte den ganzen Nachmittag totzuschlagen. So ging er ins Kino. Es gab drei Kinos für Weiße in Athens, und zwei davon zeigten Horror-Filme. Im dritten spielte man The Lost Weekend, was er schon gesehen hatte. Trotzdem ließ er es noch einmal über sich ergehen, aß kaltes fettes Popcorn und verkroch sich im Dunkel in den muffig riechenden Plüschsessel.
    Beim erstenmal hatte ihm der Film gefallen, aber beim zweitenmal erschienen ihm die dramatischen Stellen trivial, und er fand Ray Milland lächerlich, wie er da mit der Suche nach versteckten Schnapsflaschen die Zeit verschwendete, in der er Jane Wyman hätte umlegen und Stories für The New Yorker hätte schreiben können.
     
    Nach dem Kino war es immer noch zu früh. Er kaufte eine Flasche Bourbon, fühlte sich dabei wie Milland, und fuhr dann aus der Stadt hinaus. Er suchte bedachtsam und fand einen idealen Parkplatz im Wald, mit Blick über den Oconee River, und da hielt er an und blieb einfach sitzen. Der Schmerz war jetzt sehr arg, und er fühlte sich elend und schwach. Das kam davon, sagte er sich, daß er nichts als das blödsinnige Popcorn im Magen hatte, und er ärgerte sich darüber, daß er manchmal so ein gottverdammter Idiot war.
    Als er Betty Ann schließlich abholte, führte er sie zunächst in ein gutes Restaurant, das sich Max's nannte, und sie tranken erst einige Aperitifs und aßen dann zu zweit einen köstlichen Nierenbraten. Nachher gab es Brandy. Vom Restaurant fuhr er geradenwegs zu dem Parkplatz am Fluß. Er holte den Bourbon hervor, und sie hatte nichts dagegen, daß er die Flasche öffnete. Sie nahm einen langen Schluck und reichte ihm die Flasche, und er tat es ihr nach. Er schaltete das Radio ein, fand Musik und stellte den Apparat auf leise, und sie nahmen noch einen Schluck. Dann begann er sie zu küssen und fand keinen Widerstand bei ihr, nur Entgegenkommen. Er spürte ihre kleinen saugenden Küsse auf Gesicht und Nacken und wußte plötzlich mit ungläubigem Staunen, daß es das war, worauf er gewartet hatte, daß es endlich geschehen sollte - aber als es soweit war, reagierte er nicht, wie er erwartet hatte und wie von ihm erwartet wurde. Nichts geschah, und schließlich gaben sie ihre Versuche auf.
    »Ich glaube, du solltest mich jetzt nach Hause bringen«, sagte sie und zündete eine Zigarette an.
     
    Er ließ den Motor an, legte aber keinen Gang ein. »Ich möchte es dir erklären«, sagte er.
    »Du brauchst gar nichts erklären«, sagte sie.
    »Es ist etwas nicht in Ordnung mit mir«, sagte er.
    »Das habe ich bemerkt.«
    »Nein, etwas Ernstes. Ich habe Krebs.«
    Sie schwieg und rauchte. Dann sagte sie: »Willst du mich frotzeln? Ist das eine neue Masche?«
    »Es wäre sehr wichtig für mich gewesen. Vielleicht wärest du die einzige geblieben - wenn ich sterbe.«
    »Mein Gott«, sagte sie leise.
    Seine Hand griff zum Schalthebel, aber ihre Fingerspitzen berührten ihn zart. »Willst du's noch einmal versuchen?«
    »Ich glaube nicht, daß es was nützen würde«, sagte er. Aber er stellte den Motor ab. »Ich würde gern wissen, wie eine Frau wirklich aussieht«, sagte er. »Darf ich dich sehen?«
    »Es ist dunkel«, flüsterte sie, und er schaltete die Armaturenbrett-Beleuchtung ein.
    Sie hob die Beine auf den Sitz und lehnte sich zurück, mit fest geschlossenen Augen. »Rühr mich nicht an«, sagte sie.
    Nach einer Weile startete er neuerlich, und als sie spürte, daß der Wagen sich zu bewegen begann, nahm sie die Beine wieder herunter. Sie hielt die Augen geschlossen, bis sie schon auf halbem Weg nach Hause waren, und wandte sich ab von ihm, während sie sich fertig ankleidete.
     
    »Magst du Kaffee trinken?« fragte er bei einem Restaurant. »Nein, danke«, sagte sie.
    Als sie zu dem Studentenhaus kamen, in dem sie wohnte, versuchte er nochmals zu sprechen, aber sie hörte nicht zu. »Leb wohl«, sagte sie. »Viel

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