Der Rabbi
mit einem Grinsen. Aber während er mit Sheldon und den Hunden durch den Wald zum Wagen ging, merkte er, daß die Taubheit in den Fingern immer noch anhielt.
Am nächsten Morgen suchte er den Arzt auf und erzählte dem alten Doktor, was passiert war.
»Sonst haben Sie keine Beschwerden gehabt?«
Er zögerte, während der Doktor ihn abschätzend ansah. »Sie haben abgenommen, nicht wahr? Steigen Sie auf die Waage.« Neun Pfund weniger. »Sonstige Schmerzen haben Sie keine gehabt?«
»Vor ein paar Monaten ist mir der Knöchel angeschwollen, aber das hat nur ein paar Tage gedauert. Und auch Schmerzen hier herum«, und er zeigte auf die rechte Leistengegend. »Wahrscheinlich zu fleißig bei den Mädchen gewesen«, sagte der Arzt, und beide grinsten. Trotzdem griff er zum Telephon und meldete Dick im Emory University Hospital in Atlanta zur Untersuchung und Beobachtung an.
»Ausgerechnet am Tag vom Alabama-Match! « jammerte Dick. Aber der Doktor nickte nur.
Im Krankenhaus vermerkte der aufnehmende Arzt für die Krankengeschichte, der Patient sei ein gutentwickelter zwanzigjähriger Mann von etwas bleicher Gesichtsfarbe, mit rechtsseitiger Facialschwäche und stockender Sprechweise. Er erwärmte sich für den Fall, als er feststellte, daß die Krankengeschichte interessant war. Es ging aus ihr hervor, daß an dem Patienten im Alter von fünfzehn Jahren eine Probeexzision vorgenommen worden war, die zur Entdeckung eines Pankreaskarzinoms führte. Der Zwölffingerdarm, der distale Teil des Gallenganges und der obere Teil der Bauchspeicheldrüse waren entfernt worden.
»Man hat Ihnen schon als Kind ein bißchen Bauchweh herausgeschnitten, nicht?« sagte er. Dick nickte lächelnd.
Die Hand des Patienten war nicht mehr gefühllos. Außer einem rechtsseitigen Babinski ergab die neurologische Untersuchung nichts.
»Komme ich hier noch rechtzeitig weg, um das Spiel zu sehen?«
fragte Dick.
Der Doktor zog die Stirn kraus. »Das kann ich jetzt noch nicht sagen«, meinte er. Mit dem Stethoskop war ein leichtes systolisches Nebengeräusch zu hören. Er forderte den Patienten auf, sich hinzulegen, und tastete dann seinen Bauch ab. »Glauben Sie, daß wir Alabama heuer schlagen werden?« fragte er.
»Der kleine Stebbins wird sie ganz schön fertigmachen«, sagte Dick.
Die Finger des Arztes lokalisierten ein festes, unregelmäßiges Gebilde zwischen Nabel und Brustbein, etwas links von der Mitte, das die Aorta zu überlagern schien; denn mit jedem Herzschlag pulsierte auch dieses Gebilde, als schlügen zwei Herzen in dem Körper unter den Händen des Arztes.
»Ich würde das Match selber gern sehen«, sagte er.
Sheldon besuchte ihn, auch ein paar Kollegen von der Universität kamen, und Betty Ann Schwartz in einem enganliegenden weißen Angorapullover. Da während ihres Besuchs gerade niemand anderer da war, mußte er sie immerzu anschaun, und ihr Anblick erregte ihn.
»Laß dir nichts einreden«, sagte er, »man kriegt hier nichts in den Kaffee.«
Eigentlich hatte er erwartet, daß sie diese Bemerkung überhören werde, aber sie sah ihm direkt in die Augen und lächelte, als hätte ihr sein Ausspruch gefallen. »Vielleicht wäre da eine Krankenschwester das Richtige«, sagte sie, und er nahm sich vor, sich gleich nach seiner Entlassung mit ihr zu verabreden.
Am fünften Abend seines Krankenhausaufenthalts kam Onkel Myron zu Besuch.
»Wozu hat Sheldon dich herzitiert?« fragte Dick verärgert. »Ich fühle mich doch sauwohl.«
»Das ist auch kein Krankenbesuch«, sagte Myron, »sondern eine geschäftliche Besprechung.« Viele Jahre lang hatten Myron Kramer und sein Bruder Aaron das gleiche Geschäft in verschiedenen Städten betrieben - sie erzeugten Speisezimmereinrichtungen in Hartholz. Aber da Myron in Emmetsburgh und Aaron in Cypress arbeitete, konnten sie als Brüder, doch ohne voneinander geschäftlich abhängig zu sein, aus Ersparungsgründen dieselben Entwürfe verwenden und ihre Erzeugnisse durch einen gemeinsamen Vertreter auf der nationalen Möbelmesse lancieren lassen. Nachdem Aaron vor zwei Jahren einem Herzinfarkt erlegen war, hatte Myron die Leitung der Firma übernommen, im Hinblick darauf, daß Dick nach Abschluß seiner Universitätsstudien seine Eigentümerrechte antreten werde.
»Ist etwas nicht in Ordnung mit dem Geschäft, Onkel Myron?«
fragte Dick.
»Aber nein, alles ist in Ordnung«, sagte der Onkel, »das Geschäft geht ausgezeichnet.« Und sie unterhielten sich über
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