Der Rabbi
sie mit einem neuerlichen verwunderten Blick auf seinen Anzug.
»Ach, du meine Güte! « Er wandte sich um und stürzte hinaus in die Küche. Leslie hörte, wie er die Kellertür öffnete und die Stiegen hinunterging. Sie folgte ihm.
Der Keller war warm und trocken, und es war auch hell, denn der Vater hatte alle Lichter eingeschaltet. In einem großen gußeisernen Topf glühte ein Kohlenlager, und darin stand ein kleinerer Topf, in dem eine dickliche Masse kochte und brodelte. »Man muß dabeibleiben«, sagte er. »Wenn man nicht aufpaßt, kann man sich damit das Haus über dem Kopf anzünden. « Er nahm eine Handvoll Kerzenstummel aus einem braunen Papiersack und warf sie in den kleineren Topf. Begierig schaute er zu, wie sie schmolzen, dann fischte er die auftauchenden Dochte mit einer langen Bratgabel heraus.
Senilität? fragte sie sich und beobachtete ihn aufmerksam.
Zweifellos irgendeine Art von Persönlichkeitsveränderung.
»Was machst du denn damit?« fragte sie.
»Alles mögliche. Meine Kerzen mach ich selbst. Abgüsse von allerhand Dingen. Soll ich einen Abguß von deinen Händen machen?«
»Ja. «
Er schien erfreut und nahm das geschmolzene Wachs mit zwei Topfhaltern vom Feuer. Dann holte er einen Tiegel voll Vaseline aus einer Schublade und paßte genau auf, während sie, seinen Anweisungen folgend, Hände und Unterarme mit dem dicklichen Gelee bestrich. Dabei beobachtete er andauernd mit besorgten Seitenblicken den Wachstopf. Schließlich nickte er. »Jetzt tauch die Hände ein. Wenn es einmal zu kühl geworden ist, kannst du's gleich bleibenlassen.«
Mißtrauisch betrachtete sie das heiße Wachs. »Verbrennt man sich da nicht?«
Er schüttelte den Kopf. »Dazu ist ja die Vaseline da. Ich laß dich schon nicht so lange drin bleiben, bis es brennt.«
Sie atmete tief ein und tauchte die Hände in das Wachs, nur für einen Augenblick; dann zog sie die Hände wieder heraus und hielt sie hoch: sie trugen dicke wächserne Handschuhe.
Das Wachs war noch immer heiß, aber Leslie spürte, wie es auskühlte und hart wurde, während die Vaseline zur gleichen Zeit sich erwärmte und schmolz: es war das seltsamste Nebeneinander widerstreitender Empfindungen. Sie war neugierig, wie er die Wachshaut unbeschädigt von ihren Händen ziehen würde, und sie lachte leise vor sich hin. »Das paßt so gar nicht zu dir«, sagte sie, und er lächelte ihr zu.
»Wahrscheinlich hast du recht. Wenn ein Mensch alt wird, braucht er so merkwürdige Beschäftigungen.« Er füllte einen Eimer mit Wasser, wobei er Heiß und Kalt sorgfältig austarierte und die Wassertemperatur im Eimer mit den Fingerspitzen prüfte.
»Das hätten wir machen sollen, als ich ungefähr acht Jahre alt war«, sagte sie, und ihr Blick suchte den seinen. »Damals wäre ich davon begeistert gewesen.«
»Jetzt -« Er steckte ihre Hände ins Wasser und wartete voll Spannung. »Die Temperatur ist das wichtigste. Wenn das Wasser zu kalt ist, bricht das Wachs, wenn es zu heiß ist, schmilzt es.« Das Wasser war warm. Das Wachs wurde elastisch genug, daß es sich über ihrem Handgelenk dehnen ließ, so daß sie die Hände herausziehen konnte. Mit der Linken tat sie es zu hastig, und das Wachs riß.
»Gib doch acht«, sagte er ärgerlich. Sie zog die Rechte sehr langsam heraus, und ein makelloser Wachshandschuh war das Ergebnis.
»Soll ich die Linke noch einmal machen?« fragte er.
Aber sie wehrte ab. »Morgen«, sagte sie, und er nickte.
Sie ließen die Gußform in kaltem Wasser liegen und gingen hinauf.
»Wie lange willst du bleiben?« fragte der Vater auf der Stiege. »Ich weiß noch nicht«, sagte sie. Sie merkte jetzt, daß sie nicht zu Abend gegessen hatte. »Könnte ich eine Tasse Kaffee haben, Vater?«
»Natürlich«, sagte er. »Aber wir müssen ihn selbst machen. Die Frau von drüben kommt zum Abendessenkochen und zum Aufräumen.
Für das Frühstück sorge ich selbst, und mittags esse ich auswärts.« Er saß auf dem Küchenstuhl und sah ihr zu, während sie Kaffee und Toast zubereitete. »Hast du Streit gehabt mit deinem Mann?«
»Nein, nicht den geringsten«, sagte sie. »Aber du hast irgendwelche Sorgen.«
Sie fand es unendlich rührend, daß er sie hinlänglich verstand, um das zu bemerken; sie hatte es nicht für möglich gehalten. Schon wollte sie ihm das sagen, da sprach er wieder - »Zu mir kommen Tag für Tag Leute, die Sorgen haben.« - und sie war froh, daß sie nichts gesagt hatte.
Er tat Saccharin in den Kaffee,
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