Der Rabbi
Peckerhead«, sagte einer der jungen soeben.
»Fällt mir nicht ein.«
»Wahrscheinlich wartet sie jetzt gerade auf dich.«
Los, Peckerhead, dachte sie, ruf sie an, mach einem kleinen Mädchen einen hübschen Abend. Sie waren kaum älter als Max.
Der Kaffee wurde serviert, in einer Tasse wie die im Spital; sogar die Farbe war die gleiche. Sie dachte daran, mit einem Taxi zurückzufahren, aber sie bekam Angst bei dem Gedanken, daß sie davongelaufen war. Sie fragte sich, was Dr. Bernstein wohl sagen würde.
»Ruf sie an, Peckerhead. Sei nicht feig.«
»Ich bin nicht feig.«
»Also, dann ruf sie an.«
»Hat jemand einen Zehner?«
Anscheinend hatte er die Münze bekommen, denn Leslie hörte, wie der junge hinter ihr die Nische verließ. Es gab nur ein Telephon im Laden, und er hing noch immer daran, als sie mit ihrem Kaffee schon fertig war. Aber draußen vor dem Lokal der Young Women's Christian Association (YWCA) gab es einen Automaten, auf den sie zuging, nachdem sie sich vergewissert hatte, daß sie Kleingeld bei sich hatte, um Michael anzurufen.
Im letzten Augenblick besann sie sich anders und ging, statt in die Telephonzelle, in das YWCA-Lokal.
Am Empfangspult saß ein Mädchen mit Haaren, die wie eine braune Beatle-Perücke aussahen; sie saß über ein sehr großes Buch gebeugt, das seinem Format nach nur ein College-Lehrbuch sein konnte, und kratzte sich den Kopf mit dem Radiererende eines gelben Bleistifts.
»Guten Abend«, sagte Leslie. »Hi.«
»Ich hätte gern ein Zimmer. Nur für diese Nacht.«
Das Mädchen schob ihr ein Anmeldeformular hin, und Leslie füllte es aus. »Macht vier Dollar.«
Sie öffnete ihr Portemonnaie. Im Spital pflegten die Patienten mit Kupons zu zahlen, die direkt über das Verpflegungsbüro abgerechnet wurden. Von Zeit zu Zeit hatte Leslie von Michael ein paar Dollar in Bargeld bekommen, für den Kaffeeautomaten und für Zeitungen. Ihr Portemonnaie enthielt drei Dollar und zweiundsechzig Cents. »Kann ich das morgen früh mit Scheck bezahlen?«
»Natürlich. Vielleicht könnten Sie ihn gleich jetzt ausschreiben. «
»Das kann ich nicht. Ich habe mein Scheckbuch nicht bei mir.« »Ach so.« Das Mädchen wandte den Blick ab. »Ja dann ... ich weiß nicht.
So was ist mir noch nie passiert.«
»Ich bin YWCA-Mitglied. Voriges Jahr war ich in Mrs. Bosworths Schlankheitsturnen«, sagte Leslie und fügte lächelnd hinzu: »Ich bin wirklich eine durchaus seriöse Person.« Sie kramte in ihrer Tasche und fand die Mitgliedskarte.
»Das glaube ich Ihnen schon.« Das Mädchen studierte die Karte. »Es handelt sich nur darum, daß sie mich hinauswerfen, wenn Sie zu zahlen vergessen, verstehen Sie, oder daß ich den Fehlbetrag ersetzen muß, was ich mir wirklich nicht leisten kann.«
Aber sie langte hinter ihr Pult und legte Leslie einen mit Nummernmarke versehenen Schlüssel hin.
»Danke schön«, sagte Leslie.
Das Zimmer war klein, aber sehr sauber. Sie hängte ihre Kleider in den Schrank und legte sich in der Unterwäsche zu Bett, erfüllt von dankbaren Gefühlen für das Mädchen am Empfangspult. Morgen würde sie gleich Michael anrufen müssen, dachte sie schläfrig.
Aber am nächsten Morgen blieb alles still; die üblichen frühmorgendlichen Spitalsgerüche fehlten, die sie alltäglich geweckt hatten, und so schlief sie bis gegen neun Uhr.
Als sie die Augen aufgeschlagen hatte, blieb sie noch eine Weile reglos im warmen Bett liegen und dachte, wie angenehm es doch sei, keinen Elektroschock bekommen zu haben, der, wie sie wohl wußte, an diesem Morgen im Krankenhaus fällig gewesen wäre. Eine Frau in mittleren Jahren mit freundlichen Augen und blaugetöntem Haar saß am Empfangspult, als sie ihren Schlüssel abgab. Draußen rief sie ein Taxi an und gab dem Fahrer statt der Krankenhaus-ihre Wohnadresse.
Ich bin auf der Flucht, dachte sie beim Einsteigen. Der Gedanke hätte sie erschrecken sollen, aber er war so absurd, daß er sie lächeln machte.
Das Haus lag still und verlassen. Sie fand die Reserveschlüssel am gewohnten Platz auf dem kleinen Sims über der Hintertür. Sie trat ein, putzte sich die Zähne und nahm ein ausführliches Schaumbad.
Als sie damit fertig war und sich frisch angekleidet hatte, bereitete sie sich ein Frühstück mit Eiern und Brötchen und Kaffee und aß alles auf bis auf den letzten Bissen.
Sie wußte, daß sie kurz vor der Entlassung aus dem Krankenhaus stand, daß sie jetzt zurückkehren mußte, aber der Gedanke daran war ihr
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