Der Rabbi
wenig mehr als drei Jahren hat die Zahl unserer Gemeindemitglieder sich verdoppelt. In zwölf Nachbargemeinden, die keinen Tempel ihr eigen nennen, entstehen zur Zeit Hunderte neuer Wohnungen. Bei Aufnahme auch nur eines Bruchteils der heute noch abseits stehenden Familien ist zweifellos mit einem ähnlich starken Wachstum während der kommenden Jahre zu rechnen ...
Im Badezimmer wurde die Brause abgedreht. Das Klicken der Metallringe verriet Michael, daß der Vorhang zurückgeschoben wurde. Dann hörte er Leslie aus der Wanne steigen.
... Nun liegen die Dinge leider aber so, daß wir gegenwärtig nicht einmal den Bedürfnissen unserer derzeitigen Mitglieder Rechnung tragen können.
Unserer Hebräischen Schule ermangelt einfach alles, was eine Erziehungsanstalt erst zu einer solchen macht. Unser Gotteshaus ist nichts als eine große Halle ohne Betbänke und muß uns für Bankette ebenso dienen wie als Vortragssaal, als Karnevalsdiele und als Unterrichtsraum. Die hohen Feiertage zwingen uns dazu, täglich zwei Gottesdienste abzuhalten und dadurch gerade bei den feierlichsten Anlässen Verwandte von Verwandten zu trennen. Viel zu viele Familien- ssimchess wie Trauungen und bar-mizwes müssen außerhalb des Tempels stattfinden. Die Gründe dafür liegen auf der Hand. Unsere Speiseräume sind zu klein und zu schäbig; die Küche ist eng und mangelhaft ausgestattet; die Helfer sind dadurch in der Arbeit gehindert.
Aus all dem geht klar hervor, daß wir ein neues Haus brauchen. Ein Architekt ist schon beauftragt, es für uns zu entwerfen. Damit aber unser Traum Gestalt annehme, bedarf es des Opfers jedes einzelnen. Wollen nicht auch Sie sich Gedanken machen über die angemessene Höhe Ihres persönlichen Beitrages? Ein Mitglied des Bauausschusses wird Sie in den nächsten Tagen besuchen. Wenn Sie geben, denken Sie daran, daß es nicht für Fremde ist, sondern für uns und unsere Kinder.
Ihr ergebener Felix Sommers m. p., Vorsitzender des Bauausschusses
Dem Brief lag eine Pappskala mit kleinem Schiebefenster bei, das die Aufschrift »Ihr Jahreseinkommen« trug. Michael schob das Fenster bis zur Elftausender-Marke und mußte so erfahren, daß ihm bei seinem Einkommen dreieinhalbtausend Dollar zugemutet wurden. Unangenehm überrascht, warf er den Brief auf den Tisch.
Gleichzeitig hörte er Leslie ins Schlafzimmer eilen; gleich darauf knarrte das Bett.
»Michael«, rief sie leise.
Nein, man konnte von niemandem ein Drittel des Einkommens verlangen. Wie viele Gemeindemitglieder würden da mitmachen können? Offensichtlich verlangte man mehr, als man erwartete, um dadurch die tatsächlichen Spenden über das normale Ausmaß zu steigern.
Das machte ihm Sorgen; es ist kein guter Start, dachte er. »Michael«, rief Leslie von nebenan.
»Jawohl«, sagte er.
»Es geht nur so«, erklärte Sommers ihm anderntags, als Michael gegen den Wortlaut des Spendenaufrufs protestierte. »Auch andere Gemeinden haben diese Erfahrungen gemacht.«
»Nein«, sagte Michael. »Das gehört sich nicht, Felix. Machen wir uns nichts vor.«
»Jedenfalls, wir haben einen Spezialisten dafür aufgenommen, dessen Beruf es ist, Baukapitalien auf reelle Weise zu beschaffen.
Ich glaube, wir sollten ihm dabei völlig freie Hand lassen.« Michael nickte erleichtert.
Am übernächsten Tag erschien der Experte im Tempel Emeth.
Seine Geschäftskarte wies ihn als Archibald S. Kahners aus, von der Firma Hogan, Kahners & Cantwell, Kapitalbeschaffung für Kirchen-, Synagogen-und Spitalsbau, 1611, Industrial Banker Building, Philadelphia, Pennsylvania, 10133.
Nachdem er den Einlaßknopf gedrückt hatte, machte er sich ans Ausladen dreier großer Kisten, die im Gepäcksraum des neuen schwarzen Buick-Kombi verstaut waren. In drei Etappen wurden sie ins Haus geschafft. Die Packen waren schwer, und nach der dritten Tour war man in Schweiß geraten. Sobald alle Kisten in Michaels Büro standen, ließ Kahners sich in einen Stuhl fallen und schloß die Augen. Wie ein aus den Fugen gegangener Lewis Stone, dachte Michael: grauhaarig, mit rötlichem Gesicht und ein wenig zu dick, so daß der Hals schon etwas zu sehr über den Kragen des gutgeschnittenen Hemdes hinaustrat. Schuhe und grauer Tweedanzug - bestes Material - sollten betont englisch wirken.
»Was wir auf keinen Fall wollen, ist eine Hochdruck-Kampagne, Mr.
Kahners«, sagte Michael. »Wir wollen die Gemeindemitglieder nicht vor den Kopf stoßen.«
»Mein lieber Rabbi - äh -«, sagte
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