Der Rabbi
zusammenlegen, ohne daß die Gesamtkonzeption darunter leidet«, sagte er schließlich.
»Es soll ein Ort des Gebetes sein«, sagte Michael. »Diese Forderung steht über allem.«
Di Napoli trat an einen Aktenschrank und kam mit der glänzenden Reproduktion einer Architekturzeichnung zurück. Die Basis des skizzierten Gebäudes war eingeschossig, langgestreckt und wuchtig und erinnerte an einen Pyramidenstumpf, über welchem sich der kleinere Komplex des zweiten Geschosses in parabolischen Bogenschwüngen erhob; sie kulminierten in einem Dach, das körperhaft und dennoch schwerelos aufzusteigen schien und nicht weniger nachdrücklich zum Himmel wies, als es die spitzen Kirchtürme Neu-Englands tun.
»Was ist das?« fragte Sommers schließlich.
»Eine Kathedrale für New Norcia in Australien. Der Entwurf stammt von Pier Luigi Nervi«, sagte Di Napoli.
»Und Sie könnten für uns etwas machen, das ebenso vom Geist Gottes erfüllt ist?« fragte Michael.
»Ich will es versuchen«, sagte Di Napoli. »Aber dazu müßte ich erst den Baugrund sehen. Haben Sie schon einen?«
»Nein.«
»Von der Lage des Baugrundes hängt aber sehr vieles ab. Wissen Sie -
ich persönlich bevorzuge das Schaffen in strukturierten Formen. Ich arbeite gern mit Rohziegelflächen, rauhem Beton und mit freundlichen Farben, die einem Bau Leben verleihen.«
»Und wann werden Sie uns einen Vorentwurf zeigen können?« fragte Michael.
»In drei Monaten. Ich werde mich in Europa damit befassen.« Felix Sommers räusperte sich. »Und - der Kostenpunkt?«
»Wir werden mit unserem Entwurf innerhalb der möglichen finanziellen Grenzen bleiben«, sagte der Architekt vage.
»Den Hauptteil der Baukosten müssen wir erst auftreiben«, sagte Michael. »Denken Sie nur an das, was Ihnen vorschwebt. Ökonomisch, aber trotzdem künstlerisch. Es soll ein Heiligtum werden wie Nervis Kathedrale. Wieviel würde so etwas kosten?« Paolo Di Napoli lächelte.
»Rabbi Kind«, sagte er, »Sie sprechen da von einer halben Million Dollar.«
39
Einige Wochen später wurde ein schönes großes weißes Schild im Rasen vor dem Tempel Emeth aufgepflanzt, das mit großen blauen Buchstaben verkündete: WIR HABEN UNS AUFGEMACHT UND
BAUEN. Nehemia 2,2o.
Daneben prangte ein dreieinhalb Meter hohes schwarzes Thermometer, dessen Gradeinteilung die Bausumme nach Tausendern angab. Der oberste Teilstrich trug die Bezeichnung: Gesamtsumme $ 450.000, während der aktuelle Stand recht weit unten, zwischen fünfundvierzig-und fünfzigtausend, angezeigt war.
Michael bedrückte der Anblick dieses Schildes, denn das Thermometer erinnerte ihn an jenes Basalthermometer, das Dr. Reisman Leslie gegeben hatte und das sie nun allabendlich vor dem Zubettgehen unter die Zunge schob, wobei sie an das Kissen gelehnt dasaß, unter der angeknipsten Bettlampe ein aufgeschlagenes Buch auf dem Schoß, das Thermometer wie ein Lutschbonbon zwischen den Lippen, während Michael an ihrer Seite die Entscheidung über die nächste Viertelstunde abwartete.
98,2 oder darüber hieß, daß er sich schlafen legen konnte. 97,2 bis 97,4 zeigte an, daß das Tor für zwölf Stunden geöffnet war, worauf er sich zu ermannen hatte, um mit stoßenden Lenden die Gelegenheit wahrzunehmen.
Nein, dachte er, während er, schon im Pyjama, in der Küche saß und wartete, daß seine Frau aus dem Bad käme, damit er seine Pflicht täte: wie ein gelangweilter Arzt, der eine Injektion verabreicht, ein Milchmann, der stur seine Ware abliefert, ein Briefträger, der die Post einwirft, eine Arbeitsbiene, die sich müht, ihren Pollen abzustreifen - in einer unbequemen Lage, die Dr. Reisman Schenkelspreizstellung nannte, wobei Michael, die sanft gebräunten Beine Leslies auf den Schultern, in die nach oben sich öffnende Vagina hineinstoßen durfte, in einer Lage, die größtmögliche Empfängnischancen garantierte.
Garantierte! Nach Dr. Reisman und der Zeitschrift Good House keeping.
Nachdenklich trat er an den Küchentisch und sah die heutige Privatpost durch. Nichts als Rechnungen. Und dazwischen Felix Sommers' erster Spendenaufruf. Michael goß sich ein Glas Milch ein und setzte sich wieder an den Tisch.
Liebes Gemeindemitglied,
fast siebenhundert Gründe sprechen dafür, daß die Gemeinde des Tempels Emeth eine neue Heimstätte bekommen soll. Sie und Ihre Familie sind einer davon.
Die Zahl dieser Gründe nimmt ständig zu, und ihr Wachstum wird sich in naher Zukunft vervielfachen.
Innerhalb eines Zeitraumes von
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