Der Rabbi
psychotherapeutischen Behandlung der Patientin durch einen Psychiater, wenn möglich auch eine stützende Therapie für den Gatten wären angezeigt.
(Unterschrift) Daniel L. Bernstein, M.D. Chef-Psychiater Michael wollte sich soeben dem nächsten Bericht zuwenden, als er Maggie bemerkte, die in der Tür stand und ihm zusah.
»Sie gehen wie auf Gummisohlen«, sagte er.
Schwerfällig trat sie zu ihrem Schreibtisch, nahm Michael Leslies Krankengeschichte aus den Händen und stellte sie zurück. »Sie könnten vernünftiger sein, Rabbi. Wenn Sie wissen wollen, wie es Ihrer Frau geht, fragen Sie ihren Psychiater.«
»Sie haben recht, Maggie«, sagte er. Sie erwiderte seinen Gruß mit stummem Nicken. Er steckte seine Notizen ein und verließ das Büro.
Eilig schritt er durch den hallenden, allzu sauberen Korridor.
Der Brief kam vier Tage später.
Mein Michael, wenn Du nächstens in Dein Büro im Spital kommst, wirst Du merken, daß die Kabbala von Deinem Schreibtisch fehlt. Ich habe Dr. Bernstein dazu überredet, seinen Universalschlüssel zu verwenden und mir das Buch zu holen. So hat er zwar für mich gestohlen, aber die Idee kam von mir. Der gute Max Gross hat immer darauf bestanden, daß sich kein Mann vor seinem vierzigsten Lebensjahr mit der kabbalistischen Mystik beschäftigen sollte. Er wäre entsetzt, wenn er wüßte, daß ich mich nun schon seit zehn Jahren damit herumplage - und ich bin doch nur eine Frau!
Ich gehe regelmäßig zu meinen Sitzungen bei Dr. Bernstein; »Psycho-Schmonzes« hast Du das früher gern genannt. Ich fürchte, ich werde nie wieder so selbstzufrieden sein, daß ich mich über Psychotherapie lustig machen könnte. Merkwürdig, ich erinnere mich an fast alles aus der Zeit der Krankheit, und ich wünsche sehr, Dir davon zu erzählen. Am leichtesten ist es, glaube ich, das in einem Brief zu tun - nicht, weil ich Dich zuwenig liebe, um diese Dinge mit Dir zu besprechen, während ich Dir in die Augen sehe, sondern weil ich so feig bin, daß ich vielleicht nicht alles sagen würde, was notwendig ist.
So schreibe ich es eben, jetzt gleich, bevor ich den Mut verliere. Du weißt nur zu gut, daß ich schon seit ungefähr einem Jahr nicht mehr in Ordnung war. Aber Du kannst nicht wissen - weil ich es Dir nicht sagen konnte -, daß ich in dem letzten Monat, bevor Du mich ins Spital brachtest, kaum mehr geschlafen habe. Ich hatte Angst vor dem Schlaf, Angst vor zwei Träumen, die immer wiederkehrten; es war wie die Fahrt durch ein Geisterschloß in einem verrückten Vergnügungspark - man fährt wieder und wieder und kann nicht herauskommen.
Der erste Traum spielte im Wohnzimmer des alten Pfarrhauses in der Elm Street in Hartford. Ich sah jede Einzelheit so deutlich wie auf einem Fernsehschirm: das behäbige abgenützte rote Plüschsofa und die dazu passenden Fauteuils mit den zerschlissenen Polsterschonern, die Mrs.
Payson alljährlich regelmäßig und beharrlich erneuerte; den fadenscheinigen Orientteppich und den polierten Mahagonitisch mit den zwei Kanarienvögeln aus Porzellan unter ihren Glasstürzen; an der Wand die handkolorierte Photographie - ein müder kleiner Bach, der sich spielerisch durch eine senffarbene Wiese schlängelt-, ein gerahmter Strauß künstlicher Blumen, von meiner Großmutter aus den Locken gefertigt, die von meinem ersten Haarschnitt abgefallen waren, und, über dem mächtigen Marmorkamin, in dem nie ein Feuer brannte, ein gestickter Spruch:
Des Hauses Schönheit ist Ordnung Des Hauses Segen ist Zufriedenheit Des Hauses Stolz ist Gastlichkeit Des Hauses Krone ist Frömmigkeit Es war der häßlichste Raum, der je von gottesfürchtigen, aber geizigen Pfarrersleuten eingerichtet worden ist.
Und ich sah auch die Menschen.
Meine Tante Sally, dünn und grauhaarig und verbraucht von der Mühe, sich nach dem Tod meiner Mutter um uns zu kümmern und so voll von Liebe für den Mann ihrer toten Schwester, daß alle es wußten, nur er nicht, die Arme.
Und mein Vater. Sein Haar war auch damals schon weiß, und er hatte die glattesten rosigen Backen, die ich je bei einem Mann gesehen habe.
Ich kann mich nicht erinnern, daß er je so ausgeschaut hatte, als hätte er eine Rasur nötig. Ich sah auch seine Augen im Traum, hellblau, mit einem Blick, der tief in einen eindrang, bis zu der Lüge, die man im geheimsten Gedanken verbarg.
Und ich sah auch mich, zwölfjährig vielleicht, mit langen Zöpfen, dünn und eckig, mit Metallrandbrille auf der Nase, denn ich war
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