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Der Rabbi

Der Rabbi

Titel: Der Rabbi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noah Gordon
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sprach, dann wußte ich, daß er die Ehebrecherin in mir sah, obwohl ich erst zwölf Jahre alt war, und ich wünschte mir den Tod. Einmal verzögerte sich die Menstruation um fünf Wochen, und an dem Nachmittag, als sie endlich einsetzte, sperrte ich mich im Badezimmer ein und saß auf dem Rand der Wanne, zitternd, weil ich nicht weinen konnte, und ich wußte nicht mehr, ob ich nun die Studentin war, die erleichtert aufatmete, oder eine dicke vierzigjährige Frau, die froh war, kein Kind zu kriegen, das nicht von Dir gewesen wäre. Tagsüber konnte ich Dir nicht mehr in die Augen sehen und ertrug es nicht, wenn die Kinder mich küßten. Und nachts lag ich erstarrt und kniff mich, um nicht einzuschlafen und zu träumen. Und dann hast Du mich ins Krankenhaus gebracht und mich allein gelassen, und ich wußte, daß es so war, wie es sein sollte: denn ich war schlecht und mußte eingesperrt und zum Tod verurteilt werden. Und ich wartete darauf, daß sie mich töten - bis die Schockbehandlung begann und die verschwommenen Umrisse meiner Welt wieder feste Kontur annahmen.
    Dr. Bernstein riet mir, Dir von den Träumen zu erzählen, wenn ich es wirklich wolle. Er glaubt, daß sie mich dann nie mehr heimsuchen werden.
    Laß nicht zu, daß sie Dir Schmerz bereiten, Michael. Hilf mir, sie aus unserer Welt zu vertreiben. Du weißt, daß Dein Gott mein Gott ist, und daß ich Dein Weib und Deine Frau bin, im Fleisch und im Geist und in der Wahrheit. Ich verbringe die Zeit damit, auf meinem Bett zu liegen und die Augen zu schließen und an das zu denken, was sein wird, wenn ich dieses Haus verlasse - und an die vielen guten Jahre, die ich mit Dir gelebt habe. Küß die Kinder von mir. Ich liebe Dich so sehr,
    Leslie
    Er las den Brief viele Male.
    Es war bemerkenswert, daß sie den Familiennamen des jungen vergessen hatte. Phillipson hatte er geheißen. Roger Phillipson. Sie hatte ihm den Namen nur einmal genannt, aber er hatte ihn nie mehr vergessen. Und vor sieben Jahren, während er im Haus eines Amtskollegen in Philadelphia auf das Abendessen wartete und das Gedenkbuch zur Zehn-Jahres-Feier der Harvard-Klasse seines Gastgebers durchblätterte, war ihm der Name plötzlich in die Augen gesprungen: er stand unter einem Gesicht, das mit der Aufrichtigkeit des Versicherungsagenten lächelte. Teilhaber: Folger, Folger, Phillipson, Paine & Yeager Versicherungsgesellschaft, Walla Walla, Wash., Gattin: eine geborene Sowieso aus Springfield, Mass. Drei Töchter mit nordischen Namen, im Alter von sechs, vier und eineinhalb Jahren. Hobbies: Segeln, Fischen, jagen, Statistik. Klubs, Universität, Lions, Rotary, noch zwei, drei andere. Lebensziel: beim fünfzigsten Klassentreffen Fußball zu spielen. Ein paar Wochen später, zum Jom Kippur in seinem eigenen Tempel, hatte er bereut und fastend Buße getan und Gott um Vergebung gebeten für die Gefühle, die er gegen den lächelnden Mann auf dem Bild gehegt hatte. Er hatte für Roger gebetet und ihm ein langes Leben und ein kurzes Gedächtnis gewünscht.

13
    Michaels Besorgnis um Max war nach dem Brief eher noch größer geworden.
    In dieser Nacht, wach liegend in seinem Messingbett, versuchte er sich zu erinnern, wie sein Sohn als Baby und als kleiner junge ausgesehen hatte. Max war ein häßliches Kind gewesen, das nur durch sein Lächeln manchmal verschönt wurde. Seine Ohren lagen nicht flach am Kopf an, sie waren abstehend wie -wie heißen die Dinger nur, Schalldämpfer? Seine Wangen waren voll und weich gewesen.
    Und heute, dachte Michael, sucht man in seiner Brieftasche nach einer Marke und entdeckt, daß er ein Brocken von einem Mann mit sexuellen Wünschen ist. Er brütete noch immer über dieser Entdeckung.
    Seine Phantasie wurde dadurch beflügelt, daß Max vor zwanzig Minuten mit Dessainae Kaplan nach Hause gekommen war. Michael hörte, daß sie im Wohnzimmer waren. Leises Lachen. Und vielerlei andere Geräusche. Welches Geräusch macht das Herausziehen einer Brieftasche? Michael ertappte sich dabei, daß er mit gespannten Sinnen auf dieses Geräusch lauschte. Laß die Brieftasche, wo sie ist, mein Sohn, bat er stumm. Dann begann er plötzlich zu schwitzen.
    Aber wenn du schon so blöd sein mußt, mein Sohn, dachte er, dann paß wenigstens auf und hol die Brieftasche heraus.
    Sechzehn, dachte er.
     
    Endlich stand er auf, zog seinen Schlafrock und Hausschuhe an. Auf der Stiege konnte er sie deutlicher hören.
    »Ich will nicht«, sagte Dessamae. »So komm doch, Dess.«
    Michael

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