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Der Rabbi

Der Rabbi

Titel: Der Rabbi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noah Gordon
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Polizist fragte ihn, ob er die Täter aus einer Erkennungskartei herausfinden könnte. »Sicher nicht.«
    Der Beamte seufzte. »Dann können wir die Geschichte ebensogut auf sich beruhen lassen. Die sind jetzt schon über alle Berge. Wahrscheinlich sind sie aus einem anderen Stadtviertel gekommen. Haben sie was erwischt?«
    Der bärtige Mann hatte ein blaues Auge. Er griff in seine Hosentasche und zählte nach, was er zutage förderte: einen halben Dollar, einen Vierteldollar und zwei Cents. »Nein«, sagte er.
    »Das ist alles, was Sie bei sich haben?« fragte der Polizist freundlich.
    »Keine Brieftasche?«
    Der Mann schüttelte den Kopf.
    »Die hätten Sie um ein Haar für Ihren letzten Cent erschlagen«, sagte der Polizist.
     
    »Ich rufe ein Taxi«, sagte Michael. »Kann ich Sie mitnehmen?« »Aber nein, es ist ja nur zwei Gassen weit. Auf dem Broadway.« »Dann gehe ich mit Ihnen und nehme das Taxi dort.«
    Sie bedankten sich bei dem Polizisten und gingen schweigend durch den Schnee, jeder seine Verletzung spürend. Schließlich hielt der Mann vor einem alten Ziegelbau mit einer unleserlichen Holztafel über dem Tor.
    Er ergriff Michaels Hand. »Ich danke Ihnen. Ich heiße Gross, Max Gross. Rabbi Max Gross. Wollen Sie nicht noch zu mir kommen, auf eine Tasse Tee?«
    Michael war neugierig, und so nannte er seinen Namen und nahm die Einladung an. Beim Eintreten stellte sich Rabbi Gross auf die Zehenspitzen, um eine hoch oben am Türrahmen angebrachte m'suse zu berühren, und küßte dann seine Fingerspitzen. Er zog die jarmulka hervor, die jetzt ganz durchweicht war von geschmolzenem Schnee, und setzte sie auf. Dann wies er auf einen Pappkarton, in dem noch eine Menge anderer Käppchen lagen. »Dies ist Gottes Haus.« Wäre dem so, dachte Michael, ein Käppchen aufsetzend, dann hätte Gott wohl eine Unterstützung nötig. Das Zimmer war klein und schmal, eigentlich mehr ein Vorraum als ein Zimmer; zehn Reihen hölzerner Klappsessel und ein Altar füllten es fast zur Gänze aus. Der Boden war mit abgescheuertem Linoleum belegt. In einem winzigen Nebenraum, der sich an der einen Seite anschloß, standen ein abgenützter Bürotisch und ein paar zerschrammte Rohrstühle. Gross zog seinen Mantel aus und warf ihn auf den Tisch. Darunter trug er einen zerknitterten marineblauen Anzug.
    Ob sich unter dem Bart eine Krawatte befand, konnte Michael nicht feststellen. Obwohl der Rabbi einen sehr sauberen Eindruck machte, hatte Michael doch die Vorstellung, er würde dauernd schlecht rasiert herumgehen, hätte er keinen Bart.
    Ein Dröhnen erschütterte das Gebäude und ließ die nackte gelbe Glühbirne an ihrem Kabel tanzen, so daß lange Schatten über die Decke huschten.
    »Was ist denn das?« fragte Michael erschrocken.
    »U-Bahn.« Über dem Ausguß des Waschbeckens füllte Gross einen verbeulten Aluminiumkessel mit Wasser und stellte ihn auf die Elektroplatte. Die Becher waren dickwandig und gesprungen. Gross färbte beide Tassen Wasser mit einem Teepäckchen, reichte Würfelzucker dazu. Er sagte die broche. Sie saßen auf den rohrgeflochtenen Stühlen und tranken schweigend ihren Tee.
    Die bläulichen Male der Schläge im Gesicht des Rabbi wurden allmählich rot. Seine Augen waren groß und braun und von sanfter Unschuld, wie die Augen eines Kindes oder eines Tieres. Ein Heiliger oder ein Narr, dachte Michael.
    »Leben Sie schon lange hier, Rabbi?«
    Gross blies seinen Tee und dachte eine Weile nach. »Sechzehn Jahre. Ja, sechzehn.«
    »Wie viele Mitglieder hat Ihre Gemeinde?«
    »Nicht viele. Nur ein paar. Alte Männer zumeist.« Er saß einfach da und trank seinen Tee. Er schien nicht neugierig, was Michael betraf, stellte keine Fragen. Sie tranken ihren Tee aus, und Michael verabschiedete sich und zog seinen Mantel an. In der Tür wandte er sich nochmals um. Rabbi Gross bemerkte ihn offenbar nicht mehr. Er hatte seinem Gast den Rücken zugekehrt und wiegte sich und schaukelte beim abendlichen sch'mma , dort fortsetzend, wo er auf der Straße unterbrochen worden war: »Höre, Israel, der Herr unser Gott ist einig und einzig.« Die U-Bahn dröhnte. Das Gebäude erbebte. Die Glühbirne tanzte. Die Schatten huschten über die Decke. Michael ergriff die Flucht.
    An einem Abend kurz vor Semesterschluß saß er in der Mensa mit einem Kollegen und einer Kollegin, einem Mädchen, das ihm gefiel, beim Kaffee. Alle drei plagten sich gerade ein wenig mit amerikanischer Philosophie. »Und was ist mit Orestes Brownson und seiner

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