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Der Rabbi

Der Rabbi

Titel: Der Rabbi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noah Gordon
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geduldig, bis der Alte sich mühsam und mit einem Seufzer erhob, die Schulter des Rabbi berührte und die schul verließ. Dann trat Michael an den Tisch. Rabbi Gross musterte ihn prüfend. »Nun?« sagte er. Michael sagte nichts. Der Rabbi sah ihn lange an. Dann nickte er befriedigt.
    »Nun.« Er wählte zwei Bücher aus den vielen auf seinem Tisch, eine g'mara und Raschis Kommentar zum Pentateuch. »Jetzt können wir anfangen«, sagte er freundlich.

18
    Fünf Monate lang hielt Michael sein Keuschheitsgelübde. Dann besuchte er mit Maury eine bar-mizwe in Hartford - die bar-mizwe des Sohnes der Schwester von Maurys Schwager - und lernte dort die Schwester des Konfirmanden kennen, ein schlankes, schwarzhaariges Mädchen mit durchsichtiger weißer Haut und schöngeformten, leicht vibrierenden Nasenflügeln. Sie tanzten miteinander, und Michael merkte, daß ihr Haar süß und sauber roch, wie frisch gewaschene Wäsche, die in der Sonne trocknet. Zu zweit verließen sie das Haus und fuhren in Maurys Plymouth ein Stück weit über Wilbur Cross Parkway und dann eine Landstraße hinaus. Michael parkte unter einem riesigen Kastanienbaum, dessen unterste Äste das Wagendach berührten, und sie küßten einander lange, bevor es ohne Vorsatz oder Plan geschah.
    Nachher, bei einer gemeinsamen Zigarette, erzählte er ihr, daß er ein sich selbst gegebenes Versprechen gebrochen hatte, das Versprechen, dies nie mehr zu tun, außer mit einem Mädchen, das er liebte. Er hatte erwartet, daß sie lachen werde, aber anscheinend fand sie die Sache eher traurig. »Ist das dein Ernst?« fragte sie. »Wirklich?«
    »Wirklich. Und ich liebe dich nicht. Wie sollte ich auch?« fügte er eilig hinzu. »Schließlich kenne ich dich kaum.«
    »Ich liebe dich auch nicht. Aber ich mag dich sehr«, sagte sie. »Reicht das nicht?«
    Sie fanden beide, dies sei wenigstens das zweitbeste.
    In diesem Sommer, dem Sommer nach seinem ersten Universitätsjahr, arbeitete er als Hilfskraft in einem Laboratorium auf dem Campus, wusch Retorten und Eprouvetten, reinigte und verwahrte Mikroskope und bereitete das Material für Experimente vor, deren Zweck und deren Resultate er nie erfuhr. Mindestens dreimal in der Woche studierte er mit Rabbi Gross. Abe fragte ihn eifrig aus, wenn er von der Arbeit nach Hause kam. »Na, was hört sich vom Einstein?«
    Aus Michaels Antworten sprach nur allzu deutlich seine geringe Begeisterung, seine enttäuschte Interesselosigkeit gegenüber der Physik und den Naturwissenschaften im allgemeinen. Manchmal hatte er dabei auch das Gefühl, daß sein Vater ihm etwas sagen wolle, doch Abe hörte jedesmal auf, noch ehe er begonnen hatte, und Michael drängte ihn nicht. Schließlich fuhren sie auf Abes Anregung an einem Sonntagmorgen zwei Wochen vor Beginn des neuen Semesters nach Sheepshead Bay, mieteten dort ein Boot und kauften eine Schuhschachtel voll schon ziemlich verrottet aussehender Meer-Ringelwürmer. Michael ruderte so weit hinaus, wie es seinem Vater nötig schien, dann warfen sie ihre Köder aus, an denen die Flundern nicht einmal knabberten - was Abes Wunsch, zu reden, durchaus entgegenkam.
    »Und was wird nächstes Jahr um die Zeit sein?«
    Michael öffnete zwei Flaschen Bier und reichte die eine seinem Vater. Das Bier war nicht sehr kalt, und der Schaum quoll über. »Was soll schon sein, Pop - und mit wem?«
    »Mit dir natürlich, mit wem sonst.« Er sah Michael an. »Jetzt studierst du drei Jahre lang Physik, lernst genau, wie alles zusammengesetzt ist aus kleinen Teilen, die du nicht sehen kannst. Du wirst noch ein Jahr studieren. Aber du magst es nicht, das merk ich.« Er nahm einen Schluck Bier. »Stimmt's? Oder stimmt's nicht?«
    »Stimmt.«
    »Also, was wird sein? Medizin? Jus? Du hast die Zeugnisse dazu -
    und den Kopf. Und ich hab Geld genug, um einen Doktor oder einen Anwalt aus dir zu machen. Du kannst dir's aussuchen.« »Nein, Pop.« Die Leine in seinen Händen spannte sich unter den verzweifelten Befreiungsversuchen eines Fisches, der angebissen hatte, und Michael holte sie Länge um Länge ein, froh darüber, daß er etwas zu tun hatte.
    »Michael, du bist inzwischen älter geworden. Vielleicht verstehst du gewisse Dinge jetzt besser. Hast du mir vergeben?«
    Zum Teufel damit, dachte er wütend. »Was denn?«
    »Du weißt ganz genau, wovon ich rede. Von dem Mädchen.« Michael wollte wegschauen, aber da war nichts als das Wasser, das die Sonne widerspiegelte und seinen Augen weh tat. »Denk nicht mehr

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