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Der Rabbi

Der Rabbi

Titel: Der Rabbi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noah Gordon
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zerstört wurde. Nur ganz selten hatte er den Eindruck, daß es ihm gelungen war, irgend jemandem ein klein wenig zu helfen. Immerhin hielt ihn diese Erkenntnis davon ab, seine Arbeit aufzugeben und statt dessen als Sozialarbeiter in ein Sommerlager zu gehen.
    Als die Japaner Pearl Harbor angriffen, hatte Michael eben sein drittes Semester an der Rabbinatsschule beendet. Die meisten seiner Freunde meldeten sich freiwillig zum Militär oder wurden rasch vom Sog des Einberufungssystems erfaßt. Theologiestudenten waren nicht dienstpflichtig, aber ein halbes Dutzend seiner Kollegen verließ die Schule und zog die Uniform an. Die übrigen, unter ihnen auch Michael, ließen sich von ihren Lehrern davon überzeugen, daß Rabbiner in den kommenden Zeiten mehr denn je vonnöten sein würden. Michael fühlte im großen ganzen eher Bedauern, als wäre er um ein Abenteuer betrogen worden, auf das er Anspruch gehabt hätte. Zu jener Zeit glaubte er an den Tod, aber nicht an das Sterben.
    Die Briefe, die er gelegentlich aus Orten mit unbekannten und manchmal schwer auszusprechenden Namen erhielt, klangen aufregend und romantisch. Maury Silverstein blieb mit ihm in Verbindung. Er war als Rekrut zum Marineinfanteriekorps eingerückt, mit Aussicht auf die Offiziersanwärterschule in Quantico nach Abschluß seiner Grundausbildung. Auf Paris Island boxte er gelegentlich, und während eines solchen Kampfes geriet er mit seinem Ausbilder in einen Streit, dessen Einzelheiten Michael nie genau erfuhr. Maury schrieb nur, daß es zwischen ihm und seinem Gegner einige Wochen später zu einer Begegnung kam, ohne Handschuhe und außerhalb des Rings. Genauer gesagt: der Kampf spielte sich außerhalb - hinter-der Sporthalle ab, vor den Augen der versammelten Mannschaft, die Maury Beifall brüllte, als er seinem Gegner, einem Korporal, den Kiefer brach. Der Korporal hatte sein Hemd mit den Streifen ausgezogen, so kam es zu keinem offiziellen Disziplinarverfahren, aber von da an hatte es das gesamte Unteroffizierskorps auf den Rekruten abgesehen, der einen der Ihren von seinem Podest als Vorbild der Mannschaft gestürzt hatte.
    Silverstein wurde bei der kleinsten Unzukömmlichkeit zum Rapport gebracht, und seine Aussichten auf die Offizierslaufbahn schwanden bald dahin. Nach Abschluß seiner Rekrutenzeit erhielt er ein paar Wochen Ausbildung als Maultiertreiber, und schließlich wurde ihm ein kurzbeiniges Maultier mit dickem Hinterteil anvertraut. In seinem letzten Brief aus den Vereinigten Staaten teilte er Michael mit, er habe dem Vieh aus sentimentalen Gründen den Namen Stella gegeben. Maury und Stella wurden auf einer namenlosen und vermutlich gebirgigen Pazifikinsel ausgeschifft, wo Maury bis zur Erschöpfung in Anspruch genommen war, anscheinend aber nur, seinen Andeutungen zufolge, von geradezu sagenhaften Abenteuern mit Eingeborenenmädchen. Respekt vor der Uniform, so schrieb er, verbiete ihm, diese Heldentaten in allen Einzelheiten mitzuteilen.
    Während seines letzten Studienjahres wurde Michael dazu ausersehen, in einem Tempel in Rockville bei den Gottesdiensten zu den hohen Feiertagen zu assistieren. Die Feierlichkeiten verliefen ohne Zwischenfall, und er hatte das Gefühl, nun zu guter Letzt doch wirklich ein Rabbiner zu sein. Schon begann er von eitlem Selbstvertrauen zu triefen. Dann setzte das Personalreferat des Instituts für ihn drei Wochen vor seiner Graduierung eine Vorsprache im Emanuel-Tempel in Miami fest, wo der Posten eines Hilfsrabbiners vakant war. Er hielt eine Gastpredigt an einem Freitagabend. Den Text hatte er sorgfältig niedergeschrieben und den Vortrag vor dem Spiegel in seinem Schlafzimmer einstudiert.
     
    Sein Lehrer an der Fakultät hatte sich lobend über die Predigt geäußert, und Michael selbst wußte, daß Inhalt und Diktion klar und kraftvoll waren. Als er in Miami vorgestellt wurde, fühlte er sich bereit für sein Amt. Er begrüßte Rabbi Flagerman und die Gemeinde mit kräftiger Stimme. Dann stützte er beide Hände auf das Rednerpult und beugte sich ein wenig vor.
    »Was ist ein Jude?« begann er.
    Die Gesichter in den ersten Reihen blickten mit so stummer Erwartung zu ihm auf, daß er sich genötigt sah, den Blick abzuwenden. Aber wohin er auch schaute, Reihe um Reihe, waren die Gesichter aufwärts und ihm zugewandt. Alte und junge Gesichter, glatte und solche, die von Erfahrung gezeichnet waren.
    Er war gelähmt von der Erkenntnis dessen, was er im Begriff stand zu tun. Wer bin ich, fragte er

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