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Der Rabbi

Der Rabbi

Titel: Der Rabbi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noah Gordon
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Wohnzimmer zurück.
    »Clive, du verstehst dich auf die Tischlerei. Im Schuppen findest du alles, was du für einen Sarg brauchst. Ich geh inzwischen hinunter zum Begräbnisplatz. « Hendrickson wandte sich an Michael.
    »Brauchen Sie irgendwas Besonderes?«
    »Nur ein paar Bücher und Gegenstände aus meinem Wagen.«
    Michael fühlte sich keineswegs so zuversichtlich, wie er sprach. Er hatte bis jetzt bei zwei - natürlich jüdischen - Begräbnissen assistiert.
    Jetzt sollte er zum erstenmal die Rolle des Geistlichen übernehmen, der die Zeremonie zu leiten hatte.
    Er ging zum Wagen, holte seine Tasche heraus und saß dann wieder vor dem Feuer, diesmal allein. Bruce half seinem Vater, den Sarg zu zimmern. Ella und ihre Mutter rührten in der Küche einen Kuchen für das Leichenfrühstück. Michael durchforschte seine Bücher nach passenden Texten.
     
    Von draußen drang der gedämpfte Schlag eines Werkzeugs auf gefrorene Erde herein.
    Michael las lange in der Bibel, ohne zu einem Entschluß zu kommen.
    Dann schloß er das Buch, zog Jacke und Stiefel an, setzte seine Kappe auf und trat ins Freie, wie gelenkt vom Geräusch des Grabens. Er folgte dem Laut, bis er den Schein von Hendricksons Laterne sah.
    Der Mann hielt in seiner Arbeit inne. »Brauchen Sie etwas?« »Ich will Ihnen helfen. Als Tischler bin ich wohl nicht viel wert, aber graben kann ich.«
    »Nein, Sir. Nicht notwendig.« Doch als ihm Michael die Spitzhacke aus den Händen nahm, überließ er sie ihm.
    Hendrickson hatte den Schnee und die oberste gefrorene Erdschicht schon abgegraben. Der tiefer gelegene Boden war weich, aber steinig.
    Michael keuchte beim Lockern eines großen Steines.
    »Schieferboden«, sagte Hendrickson gelassen. »Voll Kiesel. Bei uns gibt's mehr Steine als Frucht.«
    Es hatte zu schneien aufgehört, aber die Nacht war mondlos. Die Laterne flackerte, doch sie verlosch nicht.
    Schon nach wenigen Minuten war Michael außer Atem. Rücken und Armmuskeln schmerzten. »Ich habe vergessen, Sie zu fragen«, sagte er, »welche Religion Ihre Mutter hatte?« Hendrickson stieg in die Grube und löste ihn ab. »Sie war Methodistin, gottesfürchtig, aber vom Kirchengehen hielt sie nicht viel. Mein Vater ist baptistisch erzogen worden, aber ich kann mich kaum erinnern, daß er in die Kirche gegangen ist.« Er wies mit der Schaufel auf ein Grab nahe der Grube, die sie aushoben. »Dort drüben liegt er. Schon seit sieben Jahren.« Eine Weile gruben sie schweigend weiter. Eine Krähe krächzte, und Hendrickson richtete sich auf und schüttelte enttäuscht den Kopf. »Das ist ein Regenvogel. Wird ein nasser Morgen. Nichts ist mir so zuwider wie ein verregnetes Begräbnis.«
    »Mir auch.«
    »Ich war ihr zweitjüngster Sohn. Der jüngste hieß Joseph. Mit drei Jahren ist er gestorben. Wir sind auf einen Baum gestiegen, und er ist runtergefallen.« Er sah hinüber zum Grab seines Vaters. »Der war nicht einmal beim Begräbnis. Hat damals gerade gesponnen und ist auf und davon. Vierzehn Monate lang. Sie hat für uns gesorgt, als wäre er da. Hat Kaninchen und Eichhörnchen geschossen, so daß immer Fleisch im Haus war. Und aus dem Garten herausgeholt, was nur möglich war. Dann kam er eines Tages zurück, so selbstverständlich, als wäre er nie weggegangen. Bis zu seinem Tod haben wir nie erfahren, wo er die vierzehn Monate gewesen ist.«
    Sie wechselten wieder. Die Grube war nun tiefer, und Michael fand den Boden weniger steinig.
    »Sagen Sie, Mister, gehören Sie zu den Geistlichen, die gegen das Trinken wettern?«
    »Nein. Keineswegs.«
    Die Flasche war dicht hinter der Laterne im Schatten gestanden.
    Hendrickson überließ ihm höflich den ersten Schluck. Die Arbeit hatte Michael in Schweiß gebracht, aber vom Berg her wehte ein kühler Wind, und der Schnaps tat gut.
     
    Als Michael Hendrickson aus dem fertigen Grab half, begann es zu dämmern. Von fern her drang der laute Anschlag eines Hundes zu ihnen herüber. Hendrickson seufzte. »Muß mir einen guten Hund anschaffen«, meinte er.
    Die Frau hatte schon warmes Wasser vorbereitet, und sie wuschen sich und wechselten die Kleider. Vielleicht hatte die Regenkrähe recht, doch sie war voreilig gewesen. Tiefhängende Wolken jagten über die Berge, aber noch fiel kein Regen. Während sie den Fichtensarg aus dem Schuppen hereinschafften, stellte Michael seine Grabrede zusammen und markierte die betreffenden Abschnitte in der Bibel mit abgerissenen Zeitungsstreifen. Nachdem er damit fertig war,

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