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Der Rabbi

Der Rabbi

Titel: Der Rabbi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noah Gordon
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kleine Hörner. Hab immer gewußt, daß er aus Dummheit lügt.« Dann kam ein rauher Händedruck.
    Michael fuhr langsam. Der Regen hatte den Schnee zum Schmelzen gebracht. Nach etwa vierzig Minuten kam er durch einen Ort und hielt an der einzigen Tanksäule vor Cole's Gemischtwarenhandlung (SÄMEREIEN, FUTTERMITTEL, HÜLSENFRÜCHTE,
    LEBENSMITTEL), um aufzutanken, denn die nächste Tankstelle, das wußte er, war drei Stunden entfernt. Nach der Ortschaft sperrte ein breiter Fluß den Weg. Der Fährmann kassierte den Vierteldollar für die Überfahrt und schüttelte den Kopf, als Michael nach den weiteren Straßenverhältnissen fragte. »Keine Ahnung«, sagte er.
    »War heut noch keiner da von drüben.«
    Er klatschte dem Leitmaultier mit einer Weidenrute auf den Rücken, beide Tiere zogen an, und die Seilwinde, die das Floß gegen die Strömung hielt, begann sich zu drehen.
     
    Nach zwanzig Fahrminuten am anderen Ufer hielt Michael an, wendete den Wagen und fuhr zurück. Der Fährmann trat aus seiner Hütte in den Regen. »Geht's nicht weiter da drüben?« »Doch«, sagte Michael. »Ich habe nur etwas vergessen.«
    »Aber den Fährlohn kann ich Ihnen nicht schenken.« »Schon recht.«
    Michael zahlte zum zweitenmal.
    Wieder vor Cole's Laden angelangt, parkte er den Wagen und ging hinein. »Gibt's hier ein Münztelephon?«
    Es befand sich innen an der Türwand eines Magazins, das nach alten Kartoffeln roch. Er wählte das Amt und gab der Beamtin die Nummer. Obwohl er viel Kleingeld bei sich hatte, reichte es nicht, und er mußte die Dollarnote wechseln, welche ihm Hendrickson aufgedrängt hatte.
    Draußen begann es zu schütten; er hörte den Regen auf das Dach trommeln.
    »Hallo? Hallo, hier spricht Michael. Nein, gar nichts ist passiert. Ich hatte nur gerade Lust, mit dir zu reden. Wie geht's dir, Mama?«

21
    Das Bergland von Arkansas ist von Massachusetts aus auch über ein langes Wochenende nicht erreichbar, während es von Wellesley Campus nach Hartford nur zwei Stunden sind. So kam es, daß Deborah Marcus während ihrer nun schon dreijährigen Freundschaft mit Leslie Rawlings ein halbdutzendmal mit jener nach Connecticut gefahren war. Es war in ihrem vorletzten Semester, auf einer Neujahrsparty in Cambridge. Während Deborah den Mann küßte, den sie liebte, und sich zugleich auf einer anderen Bewußtseinsebene Sorgen darüber machte, ob ihre Eltern wohl mit Mort einverstanden sein würden, kam ihr plötzlich die Idee, Leslie für die Semesterferien nach Mineral Springs einzuladen; sie erwartete sich von der Freundin moralische Unterstützung in dem bevorstehenden Gespräch mit den Eltern.
    Fünf Wochen später, an einem Samstagabend, an dem Leslie keine Verabredung hatte, wie eigentlich üblich, war sie allein in dem völlig verlassenen Schlafsaal. Sie trocknete eben in der Duschkabine ihr langes dunkelblondes Haar, als sie bemerkte, daß schon wieder einmal irgend jemand das Klosett verstopft hatte, so daß der Abfluß nicht funktionierte. Über diesen keineswegs seltenen Vorfall ärgerte sie sich so sehr, daß ihr eine Unterbrechung der täglichen Routine plötzlich äußerst wünschenswert erschien. Am nächsten Morgen, während die beiden Mädchen verschlafen in der Sonntagsausgabe des Bostoner Herald blätterten und einander Teile der Zeitung von Bett zu Bett zureichten, teilte Leslie ihrer Zimmergefährtin mit, daß sie mit ihr in die Ozarks fahren werde.
    »Wie schön, Leslie! « Deborah rekelte sich, gähnte und lächelte dann strahlend. Sie war ein grobknochiges Mädchen mit etwas zu üppigem Busen, schönem braunem Haar und einem ernsten Gesicht, das häßlich war, solange sie nicht lächelte.
    »Wird's eine Passah- feier geben?« fragte Leslie.
    »Natürlich, mit allem Drum und Dran. Meine Mutter hat diesmal sogar einen Rabbiner bestellt. Du wirst eine perfekte Jüdin sein, wenn die Ferien vorüber sind.«
    Das fehlte mir noch, dachte Leslie. »Viele sind berufen, aber wenige sind auserwählt«, sagte sie und vertiefte sich in die Comics. Mineral Springs trug, wie sich herausstellte, seinen Namen zu Recht: auf einer Bergkuppe sprudelten drei Quellen aus dem Boden, und dort hatte Nathan Marcus, Deborahs Vater, im Anschluß an seinen kleinen Gasthof eine Badeanstalt eingerichtet. Die Heilquellen, deren Wasser nach faulen Eiern und Schwefel rochen und kaum besser schmeckten, sicherten dem Gasthof einen kleinen, aber zuverlässigen Kreis von Stammgästen, zum überwiegenden Teil arthritische jüdische

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