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Der Rabbi

Der Rabbi

Titel: Der Rabbi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noah Gordon
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geblieben war, beschloß er, sich nicht auszukleiden. Es war sehr kalt. Er zog nur die Stiefel aus und richtete sich dann im Bett ein, so gut er konnte. Die Decken waren zerfetzt und wärmten nur wenig: sie rochen stark nach Hund.
    Die Matratze war dünn, voll Unebenheiten. Michael lag stundenlang wach, spürte die Kälte und den fettigen Nachgeschmack des Stews und konnte nicht verstehen, wie er hierhergekommen war. Um Mitternacht hörte er ein Kratzen an der Tür. Der Hund, dachte er, aber die Tür öffnete sich unter dem Druck einer Menschenhand, und Michael gewahrte, einigermaßen beunruhigt, seinen Gastgeber.
    »Seht«, sagte der Mann, den Finger an die Lippen legend. In der andern Hand trug er einen Krug. Er stellte ihn neben Michaels Bett und verschwand ohne ein Wort.
    Es war das übelste Gebräu, das Michael je gekostet hatte, aber es war stark wie Feuer und ebenso wärmend. Schon nach wenigen Schlucken schlief er wie ein Toter.
    Als er am Morgen erwachte, war das Haus verlassen: weder Mann noch Frau, noch Hund waren zu sehen. Er legte drei Dollar auf das Fußende des Bettes. Sein Kopf schmerzte, und er konnte den Krug nicht einmal mehr ansehen, aber er fürchtete, die Frau werde ihn finden. So trug er ihn in den Wald hinter der Hütte und stellte ihn in den Schnee, in der Hoffnung, der Mann werde vorbeikommen, ehe die Frau ihn entdeckt hatte.
    Der Wagen startete fast ohne Schwierigkeiten. Nach kaum einem Kilometer sah Michael, wie vernünftig es gewesen war, die Nacht abzuwarten. Die Straße wurde steiler und enger. Zur Linken stieg der Berg an, da und dort ragten Felsblöcke in die Straße hinein; zur Rechten ein senkrechter Absturz und der Blick über ein verschneites Tal, jenseits begrenzt von Gipfel an Gipfel, und rings von Bergketten umgeben. Die Haarnadelkurven waren mit Schneematsch und stellenweise mit schmelzendem Eis bedeckt. Er fuhr sie so behutsam wie möglich, immer damit rechnend, daß die Straße hinter jeder Biegung an einem steilen Abhang enden könnte, über den er mitsamt seinem Wagen in die Tiefe stürzen würde.
     
    Erst am späteren Nachmittag kam Michael in Spring Hollow an.
    George Lilienthal war mit den Holzfällern im Wald, aber seine Frau Phyllis begrüßte Michael wie einen neu entdeckten Verwandten. Seit Tagen hätten sie die Ankunft des Rabbiners erwartet, sagte sie.
    Die Lilienthals bewohnten ein Haus mit drei Schlafräumen, das der Ozarks Lumber Corporation gehörte. Das Warmwasser funktionierte gut, es gab einen Eisschrank mit Tiefkühlfach und ein schon etwas altmodisches Tonmöbel. Als George Lilienthal zum Abendessen nach Hause kam, hatte Michael bereits den Luxus eines stundenlangen heißen Bades genossen, war frisch rasiert und umgezogen, und lauschte, ein Glas in der Hand, einer Debussy-Platte. George war ein schwerer, fröhlicher Mann von siebenunddreißig Jahren, der in Syracuse Forstwirtschaft studiert hatte. Phyllis war eine untadelige Hausfrau, deren sanft ausladende Hüften ihr Wohlgefallen an der eigenen Kochkunst verrieten.
    Michael sagte die Segenssprüche beim Abendessen und betete nachher mit ihnen, wobei er den ssider mit ihrem Sohn Bobby teilte.
    Der Junge war schon elf Jahre alt; er hatte nur mehr zwanzig Monate bis zur bar-mizwe, aber er konnte noch kein Wort Hebräisch lesen.
    Den ganzen folgenden Nachmittag brachte Michael damit zu, ihn das hebräische Alphabet zu lehren. Dann gab er ihm ein alef-bejss und eine Zusammenstellung von Aufgaben, die Bobby bis zu Michaels nächstem Besuch durchführen sollte.
    Am folgenden Morgen brachte ihn George bis zu einem Holzweg, auf dem er seine nächste Station erreichen sollte.
     
    »Ich hoffe, Sie werden keine zu unangenehme Fahrt haben«, sagte er beim Abschied besorgt. »Sie müssen allerdings über zwei, drei Bäche, und das Wasser ist um diese Jahreszeit ziemlich hoch ...« Der Gemischtwarenladen in Swift Bend lag direkt am Fluß - einem reißenden, kalten Fluß, der häßliche graue Eisschollen führte. Ein bärtiger Mann in braunkariertem Wollmantel lud Warenbündel aus einem Ford-Lieferwagen, Baujahr 1937: gestapelte und mit Stricken zusammengebundene Bälge irgendwelcher kleiner Pelztiere. Die Bälge waren steifgefroren, und der Mann schichtete sie bündelweise unter dem Vordach des Ladens.
    »Ist das der Laden von Edward Gold?« fragte Michael. »Ja«, sagte der Mann, ohne seine Arbeit zu unterbrechen. Drinnen gab es einen Ofen, und es war warm. Michael wartete, bis die Frau hinter dem Verkaufspult

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