Der Rabbi
Rendezvous.«
»Und Sie sind einer, der mit der Uhr in der Hand dasteht.«
Er hielt nach einem Taxi Ausschau, aber sie fragte, wohin sie denn gehen wollten, und als er das »Miyako« vorschlug, wollte sie lieber gehen. So schlenderten sie die vierzehn Blocks entlang. Es war nicht sehr kalt, aber der Wind blies stoßweise, hob ihr den Mantel und drückte ihr das Kleid gegen die gutgeformten Beine. Beim Restaurant angelangt, waren sie durch den Fußmarsch angeregt und hatten Lust auf Martinis.
»Auf Ihre neue Beschäftigung«, sagte er, während sie anstießen. »Wie gefällt's Ihnen?«
»Ach«, sagte sie und zog die Nase kraus. »Es ist bei weitem nicht so interessant, wie ich mir's vorgestellt hab. Stundenlang sitze ich in den Büchereien über so dramatischen Werken wie dem Ashtabula-Telephonbuch und schneide Meldungen aus den obskursten Provinzblättern aus.«
»Werden Sie sich nach etwas anderem umsehen?«
»Ich glaube nicht.« Sie kaute an ihrer Olive. »Seinerzeit haben alle gesagt, als Herausgeber der Wellesley News wäre ich sehr gut gewesen. Meine Story über den Reifenwettlauf, den eine verheiratete Frau gewonnen hat, wurde sogar von Associated Press nachgedruckt. Ich glaube, ich gäbe einen recht guten Reporter ab. Jetzt bleib ich einmal dabei, bis sie mir die Chance geben, es zu probieren.«
»Reifenwettlauf, was ist das?«
»Das ist ein traditionelles Rennen in Wellesley. Jedes Jahr treiben die Mädchen des letzten Semesters ihre Reifen um die Wette, und zwar in der alten Studententracht. Man sagt, die Siegerin wird sich auch als erste einen Mann angeln. Deshalb war es ja in unserem Jahrgang so komisch.
Lois Fenton war schon seit sechs Monaten mit einem Harvard-Medizinstudenten heimlich verheiratet. Nach ihrem Sieg war sie so durcheinander, daß sie in Tränen ausbrach und mit der ganzen Geschichte herausplatzte - das war ihre Heiratsanzeige.«
Es wurde serviert, tempura und eine klare, sehr fein gewürzte Suppe mit einer kompliziert geschnittenen Gemüseeinlage. Dann gab es sukiyaki, das am Tisch von einem geschmeidigen Kellner zelebriert wurde.
Michael bestellte noch einen Steinkrug voll saki, aber sie sprach ihm nicht zu, denn das Getränk war heiß, und so trank er allein und verlor bald jedes Gefühl in seinen Fußspitzen. Als er ihr beim Weggehen in den Mantel half, berührte er zart ihre Schultern, worauf sie den Kopf wandte und ihn ansah. »Ich habe nicht geglaubt, daß Sie mich anrufen werden.«
Vielleicht war es der Schnaps, jedenfalls fühlte er sich dazu gedrängt, ihr die reine Wahrheit zu sagen. »Ich wollte es auch nicht.«
»Ich weiß, ein Rabbiner sollte nicht mit Christenmädchen ausgehen«, sagte sie.
»Weshalb sind Sie dann gekommen?«
Sie hob die Schultern und schüttelte dann den Kopf.
Draußen rief er nach einem Taxi, aber sie wollte nirgends mehr hingehen.
»Unsinn«, sagte er. »Wir sind erwachsene und moderne Menschen-warum sollten wir nicht Freunde sein? Es ist noch so früh am Abend, gehen wir doch irgendwohin, wo es gute Musik gibt.«
»Nein«, sagte sie.
Während der Fahrt bis zu dem roten Ziegelgebäude in der 60th Street, wo sie wohnte, sprachen sie kaum ein Wort.
»Steigen Sie gar nicht erst aus«, sagte sie, »hier herum ist ein Taxi nicht so leicht zu bekommen.«
»Ich werde eines bekommen«, sagte er.
Sie wohnte im zweiten Stock, der Korridor vor ihrer Wohnung war in düsterem Braun gehalten. Dann stand sie vor ihrer Wohnungstür, und er spürte, daß sie nicht eintreten wollte. »Versuchen wir's morgen abend noch einmal«, sagte er. »Selbe Zeit, selber Ort?«
»Nein«, sagte sie, »danke schön.«
Dabei sah sie ihn an, und er hatte das Gefühl, sie würde weinen, sobald sie erst allein wäre.
»So komm doch«, sagte er und beugte sich vor, um sie zu küssen, aber sie wandte sich ab und ihre Köpfe stießen zusammen. »Gute Nacht«, sagte sie und verschwand in ihrem Zimmer. Er fand sehr leicht ein Taxi
- hatte das schon vorher gewußt.
Er schlief in den Vormittag hinein und setzte sich, als er nach elf Uhr endlich aufgestanden war, mit einem Wolfshunger zu Tisch. »Dein Appetit hat sich gebessert«, stellte die Mutter erfreut fest. »Muß gestern abend recht gemütlich gewesen sein, mit all deinen alten Freunden.«
Er beschloß, Max Gross anzurufen. Schon seit zwei Jahren hatte er mit keinem Talmud-Gelehrten mehr gearbeitet und wollte nun auf diese Weise den Rest seines Urlaubs verbringen.
Als er aber zum Telephon ging, wählte er die
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